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Ausgabe Nr. 16/2024 vom 16.04.2024, Fotos: Adobe Stock
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Teil 1
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Täglich vier Stunden Klavierspiel waren für das Gericht zu viel.
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Die Zigarette am Balkon führt immer wieder zu Zwist.
Tatort Nachbarschaft
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„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, wusste schon Friedrich Schiller. Nirgendwo wird so viel gestritten wie in der Nachbarschaft.
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Lärm, Zigarettenqualm aus der Nachbarwohnung oder das Schuhkastl im Gang – Gründe, um sich zu streiten, gibt es viele. Jeder Zweite fühlt sich durch die Nachbarn gestört, zeigte kürzlich eine Studie.

Nicht selten landet der Zank vor dem Kadi. „Die Gerichte behandeln pro Jahr 2,7 Millionen Geschäftsfälle“, weiß der Jurist Martin Bleckmann. Nachbarschaftsstreitigkeiten sind ein großer Teil davon. „Gäbe es nicht Institutionen, die versuchen zu vermitteln, wären die Gerichte hoffnungslos überlastet.“

Das mag auch an der Streitkultur von Herrn und Frau Österreicher liegen. Der Rechts-Experte Bleckmann ist der Autor des Ratgebers „Wenn Nachbarn nerven …“ des Vereines für Konsumenteninformation (VKI). Das Buch ist hierzulande ein Bestseller, „ein Ratgeber zum gleichen Thema in den Niederlanden ist ein Ladenhüter“, sagt der Jurist und schmunzelt.

Am häufigsten erregt Lärm die Gemüter. Welche Einwirkungen, im Paragraphendeutsch „Immissionen“, jemand hinnehmen muss, wird in der Regel im Einzelfall entschieden.

Dünne Wände gelten nicht als Lärm-Ausrede

Grundsätzlich gilt das sogenannte Rücksichtnahme-Gebot unter Nachbarn. Zudem wird immer die Ortsüblichkeit eines Verhaltens beurteilt. Der Maßstab für ein ärgerliches Verhalten ist der Durchschnittsbenützer.

Eine landesweite Regelung zu den Ruhezeiten gibt es nicht. Die Gemeinden geben ebenso Richtlinien vor wie die Hausordnungen in Mehrparteien-Häusern.

Als Richtschnur gilt, dass in der Zeit von 22 bis 6 Uhr die meisten Menschen schlafen und Nachtruhe herrschen sollte. Selbst wenn jemand wegen seines Berufes nur nachts staubsaugen oder Wäsche waschen kann, muss das warten. Dünne Wände sind auch keine Ausrede. Dann müssen die Bewohner besonders vorsichtig sein.

So lehnte der Unabhängige Verwaltungssenat Steiermark die Berufung einer Mutter ab, „die von einem Nachbarn angezeigt worden war, weil sie um 22 Uhr die Waschmaschine eingeschaltet hatte und er sich durch die lauten Schleudergänge gestört fühlte“, ist im VKI-Ratgeber zu lesen. Sie musste 29,07 Euro wegen Lärmerregung zahlen.

Auch der Fernseher oder Musikinstrumente können die Nerven der Mitbewohner (über-)strapazieren. Instrumente mit Lautstärkeregler müssen immer in Zimmerlautstärke gespielt werden, das gilt auch für das Radio und TV-Gerät. Die Geräusche sollten dann in den Wohnungen der Nachbarn nicht oder kaum zu hören sein.

Zum Thema Klavierspiel hat der Oberste Gerichtshof (OGH) festgestellt, dass „tägliches vierstündiges Klavierspiel“ einer angehenden Konzertpianistin in einer Wiener Wohnung nicht ortsüblich sei. Dafür war nicht nur die Lautstärke, „sondern auch die subjektive Lästigkeit maßgebend, für die vor allem die Tonhöhe, die Dauer und die Eigenart der Geräusche entscheidend sind“. Eintönige Fingerübungen und das zigfache Wiederholen schwieriger Stellen sind schwerer zu ertragen.

Angespannt ist oft auch das Zusammenleben von Jung und Alt. Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Thema Kinderlärm aber geurteilt, dass das Schreien von Babys und Krabbelkindern ausgehalten werden muss, ebenso wie gelegentliches Herumrennen in der Wohnung. Bei den wiederkehrenden Raufereien eines acht und zehn Jahre alten Brüderpaares zog er allerdings einen Schlussstrich.

Risse im Plafond nach

Eine Familie beschwerte sich, weil es in der Wohnung darüber tagsüber mehrfach wild zuging, sogar Risse im Plafond hatten sich gezeigt. Die Bitte an die Mutter, das zu unterbinden, war erfolglos, die Bewohner erstatteten eine Anzeige.

Die alleinerziehende Mutter war der Meinung, ihre Kinder „seien normale Buben und hätten naturgemäß einen großen Bewegungsdrang“, wie es im Ratgeber heißt. Das Gericht stellte sich jedoch auf die Seite der Kläger.

Es stellte sogar fest, es gäbe „durchaus Möglichkeiten, Kinder zur Rücksichtnahme gegenüber ihrer Umwelt mit rechtlich und pädagogisch unbedenklichen Mitteln zu erziehen“.

Anrainer, die in Graz einen Kindergarten samt Krippe verhindern wollten, zogen aber den Kürzeren. Trotz eines Gutachtens, das einen hohen Lärmpegel prophezeite, entschieden die Verwaltungsrichter für den Kindergarten. Denn Nachbarn müssten ja auch grundsätzlich Kinderspielplätze in Wohnhausanlagen akzeptieren.

Nicht nur Lärm, auch Gestank kann zu Unfrieden in der Nachbarschaft führen. Ob Grillen auch auf dem Balkon erlaubt ist, regelt die jeweilige Hausordnung.

Viel öfter als der Duft von Ripperl und Steak führt aber Zigaretten- oder Zigarrenrauch zu Unmut. Der Oberste Gerichtshof hat vor ein paar Jahren sogar „Rauchzeiten“ für zwei Streithähne festgelegt.

Der Mieter einer Wohnung im siebenten Stock in der Wiener Innenstadt fühlte sich durch Rauch aus der schräg darunterliegenden Wohnung massiv beeinträchtigt. Der Beklagte war ein Autor, der zuhause schrieb und täglich ein bis zwei Zigarren rauchte, „eine davon in der Regel zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh“. Im Winter und bei Schlechtwetter rauchte er „bei geschlossenem Fenster und lüftete danach, im Sommer rauchte er bei geöffnetem Fenster oder auf der Terrasse“.

Höchstrichter verboten Balkon-Qualm stundenweise

Ein Gericht verbot schon das Qualmen „bei offenem Fenster, im Freien oder bei Lüftung ins Freie“ in den Nachtstunden von 22 bis 6 Uhr. Der OGH ging noch ein Stück weiter und erließ in den Sommermonaten einen zusätzlichen Rauch-Bann während der „üblichen Essens- und Ruhezeiten“ etwa zwischen 12 und 15 Uhr.

Abgestellte Gegenstände im Gang sind ebenfalls so manchem Mitbewohner ein Dorn im Auge. „Das Stiegenhaus ist eine Allgemeinfläche“, erklärt Elke Hanel-Torsch, die Vorsitzende der Mietervereinigung Wien. „Fluchtwege dort müssen immer aus Brandschutzgründen frei bleiben. Da darf nichts abgestellt werden.“

Das meiste, was in den heimischen Hausfluren herumsteht, widerspricht den feuerpolizeilichen Bestimmungen oder der Hausordnung. Das gilt für Blumentöpfe ebenso wie für Fahrräder. Bei Kinderwagen, Rollatoren oder Rollstühlen ist die Sachlage anders. „Weil die Mieter oft darauf angewiesen sind, aber es keinen Aufzug gibt, um sie in die Wohnung zu transportieren. Sie dürfen dann im Stiegenhaus an geeigneter Stelle etwa beim Eingangsbereich abgestellt
werden. Dazu gibt es auch gerichtliche Entscheidungen.“

Auf jeden Fall erlaubt ist die „Fußmatte vor der Wohnungstür, das gehört zum normalen Gebrauch dazu. Es wird auch niemand etwas dagegen haben, wenn zeitweise Schuhe vor der Tür stehen, bei Bergen von Schuhen ist das natürlich anders.“

Das sehen auch die Höchstrichter so. Sie stellten bei einem Wohnungseigentümer fest, dass die strittige Montage von zwei Schuhregalen und das Abstellen „von zumindest 50 Paar Schuhen“ eine „Inanspruchnahme von Allgemeinflächen“ darstelle, für die es die Zustimmung der Miteigentümer braucht.

Bevor ein Nachbarschaftsstreit durch die Instanzenzüge geht, rät der Jurist Martin Bleckmann jedenfalls
zu „Kommunikation statt Konfrontation. Greifen Sie bei Lärmbelästigung und dergleichen zum Telefonhörer und rufen Sie erst einmal Ihren Nachbarn an. Auch wenn es nicht angenehm ist: Suchen Sie das direkte Gespräch mit dem Störenfried.“

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