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Ausgabe Nr. 14/2024 vom 02.04.2024, Fotos: Stefano Spaziani / dpa Picture Alliance / picturedesk.com, ​Credit: ARCHIVIO GBB / Alamy Stock Photo
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Papst Franziskus, 87: „Ich war einer der zehn Muchachos“
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Als Jugendlicher ging er aus und tanzte Tango, bis er zum Glauben fand. In seiner Biografie geht Papst Franziskus mit der Welt hart ins Gericht.
Unser Leben ist das wertvollste Buch, das uns überreicht worden ist“, meint Papst Franziskus, 87. Für seine Biografie „Leben – Meine Geschichte in der Geschichte“ blätterte er in der eigenen Vergangenheit. Nach elf Jahren als Pontifex ist es seine erste Autobiografie.

Das Oberhaupt von 2,3 Milliarden Christen stammt aus einer Migrantenfamilie. Seine italienischen Vorfahren wanderten nach Argentinien aus. In der Hauptstadt Buenos Aires wurde Jorge Mario Bergoglio, wie er bürgerlich heißt, am 17. Dezember 1936 geboren. Sein Vater war Buchhalter in einer Färberei für Stoffe, die Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen.

Schon 1927 wollte seine Familie per Dampfschiff nach Argentinien auswandern. Weil aber das nötige Geld fehlte, verschob sie ihre Pläne. Eine Fügung des Schicksals. Denn das Dampfschiff „Principessa Mafalda“ sank nach einem Propellerbruch. „Es gab mehr als dreihundert Tote, eine große Tragödie“, erzählt Papst Franziskus.
Erst zwei Jahre später wurde die Reise angetreten. „Nach zweiwöchiger Überfahrt kam die Familie in Argentinien an und wurde in einem Aufnahmezentrum für Migranten empfangen, nicht anders als jene, von denen heute die Rede ist.“

Kriegsaufrüstung ist „Wahnsinn“

Als der spätere Pontifex drei Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus. „Auch ich selbst habe ihn als Kind erlebt, hatte aber Glück, weil Argentinien von dieser Tragödie nicht wie andere Länder betroffen war.“ Dafür erzählte ihm sein Großvater, der im Ersten Weltkrieg an der Piave-Front in Italien kämpfte, von den Schrecken. „Es waren Geschichten von unzähligen Toten, zerstörten Häusern, ja sogar Kirchen.“ Bis heute verabscheut er Krieg, Aufrüstung ist für ihn „Wahnsinn“.

Nach dem Krieg kam der Bursche ins Internat der Salesianer, wo er ein Kolleg besuchte. „Zeit für Langeweile blieb mir kaum. Unsere Tage begannen frühmorgens mit der Messe, dann ging es weiter mit den Unterrichtsstunden, Lernen und Spielen bis zum Abendgruß des Direktors, mit dem der vollbepackte Tag endete.“ Gleichzeitig habe er die Stille zu schätzen gelernt, zudem, „sich anderen zu öffnen und sich von Dingen zu trennen, um sie denen zu geben, die ärmer waren.“

„Gott hat mich erwartet“

Mit zwölf Jahren verspürte er zum ersten Mal den Wunsch, Priester zu werden. Doch zuvor arbeitete er unter anderem an einem Institut für Chemische Analytik in Buenos Aires. Seine Aufgabe war die Qualitätskontrolle für Lebensmittel. Später erlangte er einen Berufsabschluss als Chemietechniker.

Eine Zäsur fand im September 1953 statt. Der damals 17jährige wollte sich mit Freunden treffen, als er an der Basilika St. Josef im Stadtteil Flores von Buenos Aires vorbeikam, die er seit seiner Kindheit besuchte. „Ich verspürte plötzlich das Bedürfnis einzutreten und den Herrn zu grüßen.“ Auch die Beichte legte er ab. „Währenddessen geschah etwas Merkwürdiges, das mein Leben radikal verändert hat: Ich erlebte das Staunen, das eine plötzliche Begegnung mit Gott in mir auslöste. Er war da und hatte mich schon erwartet.“ Dass er nun Priester werden wollte, erzählte er nicht einmal seinen Freunden, mit denen er weiterhin um die Häuser zog.

„Ich war einer der zehn Muchachos (zu deutsch: Burschen), wie wir uns aus Spaß nannten. Wir trafen uns in einem Klub, wo wir Billard spielten, über politische Fragen diskutierten und Tango tanzten.“

„Petrusamt auf Lebenszeit“

Seinem Vater gestand er seine Berufspläne. Doch seiner Mutter täuschte er vor, dass er Medizin studierte. Als sie eines Tages auf seinem Schreibtisch Bücher über Theologie und Philosophie liegen sah und ihn tadelte, erwiderte er lächelnd, „Aber ich studiere doch Medizin, Mama, und zwar für die Seele!“ Sein Vater musste sie beruhigen, zumal sie ihren Sohn als Arzt sehen wollte. Anders war es mit seiner Großmutter Rosa. Sie riet ihm, „Wenn Gott dich ruft, dann geh und sei gesegnet.“

Im Jahr 1958 trat er in den Jesuitenorden ein und studierte etliche Jahre. Mit nicht einmal 30 Jahren durfte er unterrichten, seine Schüler gaben ihm den Spitznamen „Babygesicht“. Im Dezember 1969 empfing er die Priesterweihe. 1973 wurde er Provinzoberer der Jesuiten in Argentinien, fünf Jahre später Erzbischof seiner Heimat. Sein Engagement für sozial Schwache machte ihn zum „Kardinal der Armen“.

Die argentinische Kirche leitete er auch während der Militärdiktatur. Franziskus wurde immer wieder vorgeworfen, dass er Verfolgten damals zu wenig geholfen habe.
In seiner Biografie erzählt er nun, dass er etlichen jungen Männern Zuflucht gewährt habe, etwa indem er sie als Teilnehmer religiöser Kurse getarnt habe. Einen anderen jungen Mann, der ihm ähnlich sah, ließ er als Priester verkleiden und gab ihm seinen Personalausweis.
„Damit ging ich ein großes Risiko ein, denn wenn man den Betrug entdeckt hätte, wäre er getötet worden, dann wären sie auch zu mir gekommen“, erzählt Franziskus, der sein Amt als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche seit dem 13. März 2016 ausübt.

Auch wenn der 87jährige gesundheitlich schon angeschlagen ist, will er nicht wie sein Vorgänger Benedikt XVI. vorzeitig zurücktreten. „Ich denke, dass das Petrusamt auf Lebenszeit ist.“ Sein Gesundheitszustand gibt aber immer wieder Anlass zu Spekulationen. Derzeit soll er mit einer hartnäckigen Bronchitis kämpfen.

Als es ihm noch besser ging, empfing er den argentinischen Präsidenten Javier Milei,53. Der „Anarchokapitalist“ hatte ihn zuvor noch als „Hurensohn“ und „Dummkopf“ beschimpft. Trotzdem suchte Franziskus den Dialog. In Argentinien ist die Armut seit dem Amtsantritt von Milei, der die Wirtschaft und den Sozialstaat mit „Kettensäge“ umbaut, stark angestiegen.
Kritik erntete Franziskus, als er kürzlich meinte, die Ukraine solle die weiße Fahne hissen und mit Russland verhandeln. In einem Interview hat er gesagt, „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben zu verhandeln.“ Es sei derjenige der Stärkere, „der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“

Der Aufschrei war jedoch groß und der Vatikan versuchte, die Wogen zu glätten. Die erste Bedingung für Verhandlungen sei, dass Russland seine Aggression einstelle, sagte der Papst-Stellvertreter, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, 69.

Auch auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 geht Papst Franziskus in seinem Buch ein. „Was in den USA geschah und sich dann in die großen Wirtschaftsnationen der Welt übertrug, war von jener kranken Mentalität derer verursacht, die versuchten und noch heute versuchen, die Schwächsten bis aufs letzte Hemd auszuziehen, indem sie Geld mit Geld machen.“

Papst Franziskus warnt zudem vor einer weltweiten Gewalteskalation. „In Europa sind wir seit mehr als hundert Jahren im Krieg, seit 1914, und die Fabriken produzieren in einem fort Waffen, auch jetzt, da die Welt von einem ‚stückweisen‘ Dritten Weltkrieg erschüttert wird.“

Papst Franziskus ist überzeugt: „Viele Dinge wären besser verlaufen, wenn nicht Machtgier die Menschen bewegt hätte, sondern Liebe und Gebet.“ Deshalb appelliert der 87jährige eindringlich, „Lasst uns mehr beten.“ rb
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