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Ausgabe Nr. 21/2023 vom 23.05.2023, Fotos: Cynthia Vice Acosta
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Die zwei Schwestern eint eine Leidenschaft. Der Arbeitsplatz von Shari und Tammy ist das Cockpit.
„Am Himmel fand ich me ine verlorene Schwester“
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Jahrelang hat Shari Ritchkin als Lehrerin gearbeitet, doch erst als sie im Alter von 32 Jahren die Pilotenausbildung machte, hatte sie ihren Traumberuf gefunden. Ein Ahnen-Gentest erklärte schließlich ihre Leidenschaft fürs Fliegen. Sie fand heraus, dass schon ihre leibliche Mutter Pilotin war und dass sie eine Schwester hat – die ebenfalls als Flugkapitänin arbeitete.
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Eigentlich hätte ich mit meinem Leben zufrieden sein können“, sagt Shari Ritchkin. „Ich hatte meinen wunderbaren Mann Stewart und einen Beruf, den ich gerne ausübte. Doch tief drinnen in mir fehlte etwas. Ich konnte es mir nicht erklären.“

Die blonde Amerikanerin wusste seit ihrer Kindheit, dass das Paar aus Florida (USA), das sie liebevoll aufgezogen hatte, nicht ihre leiblichen Eltern waren. Sie lenkten das Interesse ihrer Adoptivtochter auf den Lehrer-Beruf und so brachte Ritchkin nach ihrer Ausbildung zur Pädagogin in Boca Raton (Florida) Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Schließlich wurde sie sogar Schulleiterin. „Aber diese Karriere erfüllte mich nicht“, sagt die 48jährige heute. „In meiner Seele blieb eine Lücke.“ Sie war gerade 32 Jahre alt geworden, als sie zufällig einen Freund aus ihrer Kindheit traf. Mark Segaloff berichtete, er wolle sich als Pilot ausbilden lassen.

Ein Ahnen-Gentest führte die Schwestern zusammen

„Mein Traumberuf. Fliegen würde auch mir Spaß machen“, erwiderte sie begeistert. „Wirklich? Warum besuchen wir dann die Piloten-Schule nicht gemeinsam?“, meinte er.

Gesagt, getan. Während der folgenden Monate verbrachte Ritchkin jede freie Minute über Fachbüchern und in der Flug-Akademie Fort Lauderdale (Florida). Im Sommer des Jahres 2008 flog sie erstmals als Co-Pilotin für die kleine Gesellschaft „Monarch Air“ Fracht auf die Bahamas. „Mein erstes Engagement am Himmel“, sagt sie stolz. Es folgten Stationen bei „ExpressJet“ und bei „Spirit Airlines“. „Wenn ich im Cockpit saß, war ich die glücklichste Frau der Welt“, berichtet die 48jährige. „Wieder am Boden, änderte sich das. Dann überfiel mich wieder die Leere in meiner Seele.“

Ihre Adoptiveltern hatten die Unruhe der Tochter bemerkt. „Vielleicht liegt es daran, dass du dich nach deiner leiblichen Mutter oder deinem Vater sehnst. Unterzieh dich doch einem Ahnen-Gentest. Das lässt sich heutzutage leicht machen. Möglicherweise findest du jemanden“, rieten sie ihr.

Doch Ritchkin ließ sich Zeit mit dem Test. Erst vor 24 Monaten tat sie den entscheidenden Schritt, und ein paar Wochen später hielt sie das Ergebnis in den Händen. Sie erfuhr, dass ihre leiblichen Eltern Roy und Cindy Holloway mittlerweile gestorben waren. Bei der Durchsicht der Dokumente erfuhr sie auch den Grund für ihre Leidenschaft für das Fliegen. Schon ihre Mutter war Pilotin und wurde nach Jahren als Flugkapitänin Vizepräsidentin der Piloten-Gewerkschaft ALPA. Auch der Grund für ihre Adoption wurde ersichtlich. „Ich kam zur Welt, als meine Eltern noch halbe Kinder waren. Sie wurden anscheinend von ihren Eltern gezwungen, mich wegzugeben.“

Und sie fand auch eine Geburtsurkunde. Zwölf Jahre nach ihr kam noch eine Tochter namens Tammy zur Welt. „Ich ahnte es“, rief Ritchkin. „Das war es, was ich mein ganzes Leben vermisst hatte: meine verlorene Schwester.“ Je tiefer sie sich in die Dokumente bohrte, desto mehr Einzelheiten grub sie aus. Am aufregendsten war, dass offenbar auch ihre Schwester das Fliegen als Beruf auserkoren hatte. „Zuletzt schien sie als Managerin für ‚United Airlines‘ tätig gewesen zu sein.“

Nach ein paar Recherchen läutete bei Tammy Halloway in Los Angeles (Kalifornien) das Telefon. „Frau Holloway, sitzen Sie gerade?“, fragte eine warme Frauenstimme, die Holloway an ihre eigene erinnerte. „Wenn nicht, halten Sie sich fest: Hier spricht Ihre Schwester“, sagte Ritchkin mit zittriger Stimme. „Ich fiel aus allen Wolken“, erinnert sich Holloway. „Meine Eltern hatten nie erwähnt, dass ich
eine Schwester habe.“ Ritchkin schickte ein Foto, Holloway war verblüfft über ihre Ähnlichkeit, obgleich sie zwölf Jahre voneinander trennen. Ein paar Tage später fielen sich die Schwestern in Los Angeles in die Arme – und stellten fest, dass sie sich schon Jahre vorher begegnet waren.

Damals waren beide auf dem Flughafen Newark im US-Staat New Jersey stationiert. „Wir liefen uns wiederholt über den Weg und Shari war sogar einmal Passagier in einem Flieger, den ich steuerte. Ich fand also am Himmel meine verlorene Schwester und wusste es nicht“, sagt Holloway, die bereits im zarten Alter von 16 Jahren hinter dem Steuerknüppel saß. Ihre Mutter, die Pilotin, hatte das möglich gemacht.

Nachdem die beiden Frauen einander nun endlich gefunden haben und auch Ritchkin seelischer Kummer geheilt ist, wollen sie so oft wie möglich zusammen sein. Holloway hat ihren Arbeitgeber bereits gebeten, sie nach Florida zu versetzen – in die Nähe ihrer Schwester. „Ich will Shari nicht wieder verlieren“, sagt die Pilotin.
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