Schifahren um jeden Preis
Vom Winter gibt es noch kaum eine Spur, die Berge sind höchstens angezuckert – trotzdem fanden am vergangenen Wochenende in Sölden (T) die ersten Schirennen der Saison statt. Viel zu früh, kritisieren nicht nur Umweltschützer, sondern auch viele Sportler.
Seit knapp 25 Jahren findet traditionell Ende Oktober der Auftakt in die Schi-Weltcup-Saison am Rettenbachgletscher in Sölden (T) statt. Doch immer öfter fehlt es selbst in 3.000 Meter Höhe an Schnee. Für das perfekte Wintersportvergnügen müssen teilweise massive Eingriffe in die Natur vorgenommen werden. Auch am Rettenbachferner wurde laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace bereits vor Monaten begonnen, mit Baggern das Eis abzutragen, um die Rennstrecke für den Weltcup-Auftakt am vergangenen Wochenende zu optimieren. Der warme Oktober machte die Hoffnung auf ein tiefverschneites Gletscher-Winterwunderland aber zunichte. Daran änderte auch der kurz vor dem Rennwochenende einsetzende Schneefall nicht viel.

Immer öfter wird Kritik am Rennkalender des Weltschiverbandes FIS laut. Die Verantwortlichen halten trotzdem an dem frühen Saisonstart in Sölden fest. „Die Organisatoren behaupten, das ,Ski-Opening‘ würde die Buchungen nach oben treiben. Ob das in der Vergangenheit tatsächlich so war, kann ich nicht beurteilen. Ein weißes Schneeband auf einem sterbenden Gletscher, inmitten von Geröll und Felsen, so wie wir es heuer erleben und wie wir es in den nächsten Jahren aufgrund des Klimawandels immer öfter sehen werden, ist wohl keine Werbebotschaft, die Menschen zum Schifahren animiert“, wundert sich Mag. Dr. Oliver Fritz, Tourismusökonom des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO). Auch Moritz Nachtschatt, der Geschäftsführer des Vereines „Protect our Winters Austria“ (POW) meint, „dass diese Bilder keinesfalls zu einer besseren Buchungslage beitragen“.

Mit ihrer Kritik sind die Experten nicht allein. Auch die Schirennläufer setzen sich für einen späteren Saisonbeginn sowie ein Umdenken in Richtung mehr Klimabewusstsein ein. In einem offenen Brief forderten im Februar
mehr als 140 Wintersportler, etwa die amerikanische Spitzenläuferin Mikaela Shiffrin und der ÖSV-Abfahrer und POW-Mitglied Julian Schütter, weitreichende, konkrete Klimaschutzmaßnamen von der FIS. „Vor Kurzem haben wir eine weitere Petition herausgegeben, die mittlerweile von mehr als 30.000 Menschen weltweit unterschrieben wurde“, erzählt Nachtschatt. „Wir fordern Transparenz von der FIS und einen Plan, wie die Klimaneutralität erfolgen soll.“ Der Schiverband müsse als erster an einem Erhalt des Winters, wie wir ihn kennen interessiert sein und mit positivem Beispiel vorangehen.

Angesichts des Klimawandels ist eine Eröffnung der Schisaison im Oktober kaum noch zu rechtfertigen, aber
„offensichtlich sehen die Veranstalter dieser Rennen weiterhin einen wirtschaftlichen Nutzen, der damit verbun-
den ist“, vermutet der Tourismusökonom. Aus ethischer
Sicht stelle sich die Situation aber anders dar. „Wir müssen entscheiden, ob wir die verschwindenden Gletscher bis zu deren Ende kommerziell verwerten wollen oder sie würdevoll sterben lassen. Ich persönlich würde zweiteres bevorzugen und die Gletscher hegen und pflegen, um ihr Verschwinden zumindest etwas hinauszuzögern. Viele Gletscherdestinationen sehen das offensichtlich anders und die Politik lässt sie gewähren“, mahnt Fritz. rz