Schluss mit dem Tierleid
Es gibt Alternativen zu Tierversuchen. In den USA müssen deshalb Medikamente nicht mehr an Tieren getestet werden. Die EU will nicht darauf verzichten. Hierzulande werden jährlich hunderttausende Tiere „verbraucht“.
In den USA müssen Medikamente seit Jahresanfang nicht mehr an mindestens zwei Tierarten getestet werden, bevor sie zugelassen werden. „Ein vorbildlicher Schritt“, freut sich Martin Balluch vom „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT). „In Europa sollte nachgezogen werden.“

Doch die EU-Arzneimittelbehörde EMA will nicht auf die Tierversuchs-Pflicht verzichten. Es sei nicht sicher, dass die alternativen Methoden verlässlich seien, heißt es. Tierversuche bleiben weiter gesetzlich vorgeschrieben.
Dabei sind Tests mit im Labor gezüchteten menschlichen „Mini-Organen“ oft genauer und aussagekräftiger als Tierversuche. So hat eine aktuelle Studie die Giftigkeit von mehreren Wirkstoffen für die Leber gezeigt, die Forscher angesichts früherer Tierversuche als verträglich einstuften.

„Durchschnittlich 92 Prozent der Medikamentenkandidaten, die alle Tierversuche erfolgreich durchlaufen haben, werden später während der klinischen Studien an Menschen aussortiert“, erklärt eine Wissenschaftlerin des Vereins „Ärzte gegen Tierversuche“. „Vor allem, weil sie nicht wirken oder erhebliche Nebenwirkungen hervorrufen.“

„Mini-Organe“ aus menschlichen Zellen
Tierschützer sind überzeugt, dass für die Wissenschaft keine Tiere mehr leiden müssten. Die winzigen, mittels menschlicher Stammzellen im Labor gezüchteten „Mini-Organe“, auch „Organoide“ genannt, lassen sich praktisch unbegrenzt vermehren. Das Zusammenspiel verschiedener Organe im Körper wird mit sogenannten „Multi-Organ-Chips“ nachgestellt, bei denen, vereinfacht gesagt, verschiedene „Mini-Organe“ verbunden sind.

Mehr als zwei Dutzend Institute forschen derzeit europaweit an diesen Alternativen zu Tierversuchen. Auch an der Technischen Universität Wien oder der Medizinischen Universität Innsbruck wurden neuartige Methoden entwickelt. Zudem können mithilfe von Computermodellen Vorhersagen über die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Medikamente getroffen werden.

Trotzdem mussten in der EU zuletzt zehn Millionen Tiere für Tierversuche leiden, allein in unserem Land waren es mehr als 218.000. Rund die Hälfte macht die Grundlagenforschung aus. Etwa ein Viertel dient der Forschung und Entwicklung von Medikamenten.
Im hiesigen Tierversuchs-Gesetz sind vier Schweregrade festgelegt. Schweregrad 1 betrifft „Tierversuche, die gänzlich unter Vollnarkose durchgeführt werden, aus der das Tier nicht mehr erwacht“. Das war im Jahr 2021 bei 5.400 Tieren der Fall.

Elektroschocks, Bestrahlung, Isolierung
Den höchsten Grad an Schmerzen, Leiden oder Schäden erlitten EU-weit fast eine Million Versuchstiere. Bei uns wurden 22.000 Tiere für Experimente der Stufe 4 „verbraucht“. Darunter fallen beispielsweise Elektroschocks, denen das Tier nicht entgehen kann, die Bestrahlung oder Chemotherapie mit tödlicher Dosis oder die lange vollständige Isolierung von geselligen Arten wie Hunden.
Was passiert nach dem Ende des Tierversuches mit den Tieren? „Die allermeisten Tieren werden am Versuchsende getötet“, sagt der VGT-Obmann Martin Balluch. „Bei manchen Tieren, die für vergleichsweise harmlose Versuche verwendet wurden, ist eine Vermittlung möglich. In wenigen Fällen werden Tiere nach einem Tierversuch für einen weiteren Tierversuch verwendet.“

Drei Viertel aller Versuchstiere hierzulande waren Mäuse. Sie sind leicht zu halten, billig und vermehren sich rasch. Außerdem ist „schon von vielen Tierversuchen bekannt, wie sie auf dieses oder jenes reagieren“, weiß Martin Balluch. „Und man hofft, dass Mäuse als Schädlinge in der Öffentlichkeit wenig Sympathie wecken.“ Allerdings kämen neun von zehn Medikamenten, die bei Mäusen wirksam sind, nie auf den Markt, „weil sie bei Menschen eine andere oder keine Wirkung zeigen“.

Auch Fische spüren Schmerzen
Mehr als ein Zehntel der hiesigen Versuchstiere sind Zebrafische. Sie sind ebenfalls leicht zu halten. 70 Prozent ihrer Gene kommen laut Forschern in ähnlicher Form auch beim Menschen vor. Doch auch Fische spüren Schmerzen, das haben Studien eindeutig bewiesen.
Seit dem Jahr 2009 sind Tierversuche für Kosmetika in der EU verboten. Doch es gibt sie nach wie vor durch die Hintertür. Die EU-Chemikalienverordnung REACH sieht vor, „dass alle Chemikalien auf dem EU-Markt an Tieren getestet werden müssen. Sogar solche, die bereits auf dem Markt sind, sollen nachgetestet werden“, kritisiert der VGT-Obmann. „Diese Verpflichtung gilt auch für Firmen, die tiervesuchsfreie Kosmetika herstellen.“

1,2 Millionen Menschen haben in den vergangenen Monaten eine Europäische Bürgerintiative unterschrieben, die sich dagegen ausspricht. Sie fordern außerdem, „dass die Chemikalienverordnung so umgeschrieben wird, dass auch Tests ohne Tiere zugelassen werden und dass die EU einen Ausstiegsplan aus Tierversuchen festlegt.“ Jetzt muss es eine öffentliche Anhörung im EU-Parlament geben und eine Stellungnahme der EU-Kommission.

In Deutschland vergibt der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ das „Herz aus Stein“ für den schlimmsten Tierversuch. Auch in unserem Land gibt es „sehr grausame und insbesondere sinnlose Tierversuche“, weiß der VGT-Obmann Martin Balluch.

In einem Experiment bekamen mehr als 300 Ratten elf Tage lang nur Kaffee zu trinken. Gleichzeitig wurde Krebs bei ihnen ausgelöst, um die Wechselwirkung zwischen Kaffee und der Krebsentwicklung zu studieren. „Dabei haben weltweit sicher Millionen von Menschen Krebs und trinken Kaffee“, sagt Balluch, „sodass man diese Wechselwirkung auch aus statistischen Daten herausbekommen könnte.“