Anmelden
Abonnieren
Ausgabe Nr. 45/2025 vom 04.11.2025, Fotos: AdobeStock, picturedesk.com, FUXOGRAFIE
Artikel-Bild
Artikel-Bild
Die Büste des Gründers im Hermann-Gmeiner-Park in Wien.
Artikel-Bild
Geschäftsführerin Annemarie Schlack verspricht einen Neubeginn bei SOS-Kinderdorf.
Artikel-Bild
Quelle: Spendenbericht 2024,
Zahlen gerundet
Die Macht des Gebens
Jetzt neu: Hier klicken
und Artikel an Freunde verschenken.
Der Verein SOS-Kinderdorf kommt nicht aus den Schlagzeilen. Bisher war er einer der größten Spenden-Empfänger des Landes. Das Geber-Vertrauen ist aber schnell verspielt.
Auf Play drücken
um Artikel vorlesen
zu lassen.
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht neue Vorwürfe rund um den Verein SOS-Kinderdorf bekannt werden. Selbst der Gründer Hermann Gmeiner (1919–1986) steht im Verdacht, an zumindest acht minderjährigen Buben „sexuelle Gewalt und Misshandlungen“ ausgeübt zu haben.

Die Übergriffe sollen in den 50er bis 80er Jahren stattgefunden haben. Nach Opferschutzverfahren von SOS-Kinderdorf selbst wurden die Betroffenen mit bis zu 25.000 Euro entschädigt, auch Therapie-Stunden wurden bezahlt.

Straßen und Parks, die Gmeiners Namen tragen, sollen jetzt umbenannt werden. Auch die nachträgliche Aberkennung von Ehrenzeichen und Orden wird nun
diskutiert.

SOS-Kinderdorf will jetzt alles auf den Tisch legen. „Aufarbeitung gilt für alle – unabhängig von Rolle, Funktion, Verdiensten, Zeitraum, Einfluss oder Symbolkraft“, sagt Annemarie Schlack, eine von drei Geschäftsführerinnen des Vereines. „Niemand steht über dem Prinzip der Verantwortung, auch nicht Gründerfiguren.“ Sie verspricht einen „umfassenden“ Neubeginn.

In den vergangenen Wochen gab es nach den ersten Berichten über Gewalt- und Missbrauchs-Vorwürfe bei SOS-Kinderdorf dutzende Meldungen bei der Organisation. Jeder werde nachgegangen, aber „nicht jede dieser Meldungen heißt, es gibt eine akute Kinderschutzgefährdung“, betonte Schlack in einem Fernseh-Interview.

Jetzt soll eine unabhängige Reformkommission die Vorwürfe untersuchen. Sie wird von Irmgard Griss geleitet, der früheren Präsidentin des Obersten Gerichtshofes und Bundespräsidentschaft-Kandidatin.

SOS-Kinderdorf betreut in Kinderdorf-Familien und Wohngruppen fast 1.800 Kinder und Jugendliche. Daneben gibt es andere Angebote wie Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder mobile Familienarbeit. Drei Viertel des Jahres-Budgets kommen von der öffentlichen Hand, den Steuerzahlern. Ein Viertel
wird durch Spenden finanziert.

SOS-Kinderdorf war bislang einer der größten Spendenempfänger des Landes. Nach dem Roten Kreuz und der Caritas hat der Verein zuletzt mit 45 Millionen Euro die drittmeisten Spenden erhalten. Es stellt sich die Frage, gibt es derzeit überhaupt Spenden an SOS-Kinderdorf Österreich? „Ja. Wir erhalten weiterhin Spenden, auch wenn viele Menschen derzeit Rückfragen haben“, heißt es von der Organisation. „Wir bedanken uns aufrichtig für die Unterstützung. Parallel bleiben unsere Leistungen für Kinder, Jugendliche und Familien aufrecht.“

Die Kernleistungen des Vereines seien „überwiegend öffentlich finanziert. Spenden sind aber für etwa ein Viertel unserer Arbeit unverzichtbar – etwa für Prävention, Beratung und zusätzliche Unterstützungsangebote.“

Die jetzige Aufklärung will SOS-Kinderdorf vor allem „aus Mietzins und Kapitalerträgen“ finanzieren. „Falls erforderlich, werden freie, nicht zweckgewidmete Spenden eingesetzt.“ Für ein spezielles Anliegen oder Projekt bestimmte Spenden, also zweckgebundene Spenden, „bleiben unangetastet und fließen ausschließlich in den jeweils zugesagten Zweck“, wird bei SOS-Kinderdorf versichert. „Öffentliche Mittel werden für die Aufarbeitung nicht in Anspruch genommen.“

Rund 118 Euro spenden wir hierzulande jährlich pro Einwohner. Beim „Europameister“ Irland sind es 313 Euro, in Deutschland 151 Euro, in der Schweiz 288 Euro.

Die Macht des Gebens liegt nicht nur darin, dass damit Glückshormone freigesetzt werden, sie lässt sich auch in Zahlen ausdrücken.

Mehr als eine Milliarde Euro wurde hierzulande im Jahr 2023 gespendet, zeigt der Spendenbericht des „Fundraising Verbandes Austria“, des größten Dachverbandes für Spendenorganisationen hierzulande. Die Zahlen für 2024 werden Ende November veröffentlicht. Rund 72 Prozent der Bevölkerung haben laut der aktuellsten Messung 2023 gespendet, „ein anhaltend hoher Wert im internationalen Vergleich“, sagt
Ruth Williams, die Geschäftsführerin des Fundraising Verbandes. Charakteristisch sei, dass „etwa 80 Prozent des gesamten Spendenaufkommens aus vielen kleinen Einzelspenden stammen, was zu einer besonders stabilen und krisenresistenten Spendenkultur führt“.

Die meisten „milden Gaben“ fließen in die Bereiche Soziales, Gesundheit und Menschen mit Behinderung.

Die Vorweihnachtszeit ist traditionell die „Haupt-Spendezeit“. Ein Viertel bis ein Drittel aller Überweisungen werden in dieser Zeit getätigt. Welche
Auswirkungen die Affäre rund um SOS-Kinderdorf auf das Spendenaufkommen im Fall der Organisation und im Allgemeinen hat, ist noch unklar. „Das Spendenaufkommen des Jahres 2025 kann erst im
darauffolgenden Jahr seriös und vollständig ausgewertet und analysiert werden“, erklärt Ruth Williams vom Fundraising-Verband. „Aus unserer jahrzehntelangen Erfahrung um das Spendenwesen wissen wir aber, dass Spenden immer Ausdruck von Vertrauen, Mitgefühl und dem Wunsch, Gutes zu bewirken, sind.“ Und,
„Vertrauen ist das zentrale Fundament jeder Spendenbeziehung.“

Analysen zeigen, dass die meisten Spender den Organisationen über viele Jahre treu bleiben, „weil sie deren Arbeit kennen und schätzen. Vorkommnisse wie die jüngst ans Licht gekommenen beeinträchtigen dieses Vertrauen in betroffene Organisationen natürlich stark.“

Das Spender-Vertrauen ist schnell verspielt. Der Spendensammler-Dachverband ist aber überzeugt, dass es „bei Verfehlungen, unabhängig ob in der jüngeren oder weiteren Vergangenheit, durch konsequente Aufarbeitung und nachhaltige Reformen wiedergewonnen werden kann.“

Mehr als 8.000 Einträge sind auf der Liste der steuerbegünstigten Einrichtungen des Finanzministeriums zu finden.

Spenden an dort verzeichnete Organisationen sind steuerlich absetzbar, das betrifft allerdings höchstens ein Zehntel der Jahreseinkünfte. Seit dem Jahr 2017 berücksichtigt das Finanzamt Spenden automatisch. Wer ein höheres Einkommen hat und in einen höheren Steuertarif fällt, kann mehr absetzen. Je nach Einkommen beträgt die Steuerersparnis bei einer Hundert-Euro-Spende zwischen 20 und 55 Euro.

Auch SOS-Kinderdorf steht auf der Liste der steuerbegünstigten Einrichtungen. Daran habe sich nichts geändert, weil „das Steuerrecht rein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse abstellt“, heißt es aus dem Finanzministerium. „Abgesehen davon sind die im Raum stehenden gravierenden Missstände dringend zu verfolgen.“ Das Finanzministerium „vertraut dabei voll auf die zuständigen Strafrechtsbehörden“.

Die SOS-Kinderdorf-Reformkommission hat jedenfalls ihre Arbeit schon aufgenommen. Ergebnisse soll es im Lauf des nächsten Jahres geben.
Weitere Inhalte dieser Ausgabe:
Ihre Meinung
Ihre Meinung ist uns wichtig.

Schreiben Sie Ihren Kommentar zu diesem Artikel, den wir dann prüfen und veröffentlichen werden.
Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu verfassen.
Werbung