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Ausgabe Nr. 44/2025 vom 29.10.2025, Fotos: picturedesk.com
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Martin Kreutner, 61, Experte für Korruptions-Bekämpfung
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August Wöginger bei seinem Prozess in Linz.
Martin Kreutner: „Korruption zerstört das Vertrauen in den Staat“
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Der Jurist Martin Kreutner hat sich den Kampf gegen Freunderlwirtschaft und Postenschacher auf die Fahnen geschrieben. Der frühere Leiter der Internationalen Anti-Korruptions-Akademie hält die Entscheidung im Fall Wöginger für ein falsches Signal. Vom Pilnacek-Untersuchungsausschuss erwartet er die Aufklärung zu berechtigten Fragen.
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Herr Kreutner, ist die Diversion für ÖVP-Klubobmann Wöginger im Amtsmissbrauch-Verfahren ein falsches Signal?

Ja, in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ist die Entscheidung juristisch nach wie vor strittig. Etwa was die Generalprävention und den angeblich nur geringfügigen Schaden betrifft. Und zum Zweiten ist es natürlich auch von der Vorbildwirkung her etwas, das in der Bevölkerung sehr viele kritische Stimmen hervorgerufen hat – aus meiner persönlichen Sicht zu Recht.

Generalprävention bedeutet Abschreckung?

Genau, die Generalprävention hat das Ziel, gegenüber der Allgemeinheit abschreckend zu wirken. Ein konkretes Beispiel: Wenn Ladendiebstahl nicht mehr strafbar wäre, würde wahrscheinlich die Zahl der Ladendiebstähle massiv ansteigen.

Korruption verursacht nicht nur finanzielle Schäden …

Das Vertrauen der Bürger in die Amtsträger, in die Politik, in die Verwaltung, in die Justiz sinkt. Damit entsteht gesellschaftlich ein großer Schaden. Korruption zerstört das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Einrichtungen. Auf den konkreten Fall gemünzt, ist auch den Steuerzahlern ein nicht unwesentlicher finanzieller Schaden entstanden. Beispielsweise durch Ausschreibungsverfahren, wofür Kandidaten und Kandidatinnen anreisen müssen, eine Anhörung veranstaltet wird, Kommissionen zusammenkommen, die Ausschreibung administriert werden muss. Das sind wahrscheinlich tausende Euro, in diesem einen Fall wie auch in vielen anderen. Diese Schimäre hätte man sich ersparen können, wenn von vornherein der Kandidat schon feststeht.

Wäre im Fall des ÖVP-Klubchefs Wöginger Ihrer Meinung nach ein Rücktritt angebracht?

Das ist letztendlich von der politischen Partei und ihm selber zu beurteilen. Aber ich hätte mir eine andere Reaktion, insbesondere im Sinne der Vorbildwirkung sowohl von ihm als auch von der Partei erwartet. Es einfach abzutun, und zwar wenige Minuten oder Stunden später, und zu meinen, damit sei die Sache erledigt – das scheint mir definitiv zu wenig.

Insgesamt sind Rücktritte hierzulande selten ein Thema …

Früher war es selbstverständlich, spätestens bei strafrechtlichen Ermittlungen oder einer rechtskräftigen Anklage zurückzutreten. Inzwischen ist man so weit, dass ein Rücktritt, wenn überhaupt, nur dann in Frage kommt, wenn es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt. Ich warte darauf, dass man irgendwann noch die Strafhöhe diskutiert, die zu einem Rücktritt führt.

Ich glaube, eines darf man nie vergessen und das kennen wir auch aus der Kindererziehung, Vorbilder haben eine zusätzliche Verantwortung. Eltern werden unglaubwürdig sein, wenn sie ihren Kindern sagen, bitte wascht euch die Hände vor dem Abendessen, und sie selber kommen mit schmutzigen Händen. Insoferne kann man auf der abstrakten Ebene natürlich auch verlangen, dass diejenigen, die die Gesetze machen, die Politiker, sich auch an die eigenen Gesetze halten.

Ist Österreich ein korruptes Land? Wir liegen im Korruptionsindex auf einem historischen Tiefpunkt mit Platz 25. Die Schweiz ist auf Platz 5, Deutschland auf Platz 15.

Wir sind massiv abgestürzt. Ich würde deswegen aber nicht sagen, dass Österreich an sich ein korruptes Land ist. Das ist auch wieder zu einfach. Wir müssen da aufpassen, dass wir nicht in Extreme verfallen. Wir haben eine gute Verwaltung, wir haben im Regelfall eine sehr rechtskonforme Polizei, Finanzverwaltung und andere staatliche Institutionen. Wo es in unserem Land problematisch wird, ist dort, wo Entscheidungsträger der Politik mit hohen Entscheidungsträgern der Wirtschaft zusammentreffen, dort, wo diese Verhaberung stattfindet und wo manche glauben, dass sie gleicher sind als andere.

Sie sind dagegen, dass es bei der geplanten Bundesstaatsanwaltschaft eine Mitsprache oder Kontrolle des Parlaments gibt …

Stellen Sie sich vor, jemand begeht irgendein Delikt, die Gerichte entscheiden in allen Instanzen, kommen zu einem entsprechenden Urteil und dann soll noch einmal das Urteil vom Parlament kontrolliert werden. Das kann so nicht sein. Das ist wie im Mittelalter. Damals hat der Kaiser darüber regiert, oder der Papst. Und jetzt will das das Parlament machen. Das ist wieder eine Vermischung von Funktionen und von Mandaten, die wir auch im Fall Wöginger gesehen haben. Politik ist dazu berufen, die Gesamt-Spielregeln für die Gesellschaft zu gestalten. Aber Politik ist nicht dazu berufen, dann im Einzelgerichtsfall zu entscheiden, wie der Richter zu urteilen hat.

Sie warnen immer wieder davor, dass Militärausgaben ein hohes Risiko für Korruption bergen.
Was bedeutet das für Österreich und die EU, die aufrüsten?


Das bedeutet: Bitte Vorsicht und Transparenz. Ich weiß, dass das in militärischen Dingen oft ein frommer Wunsch ist, weil es nicht machbar oder auch nicht gewollt ist. Aber eines darf ich schon dazu sagen, vor dem Hintergrund, dass ich selber beim Bundesheer war und auch Auslandseinsätze hinter mir habe. Mich betrübt es, dass wir in den vergangenen Jahren eine äußerst eindimensionale Diskussion führen. Das Militär ist eine wichtige Komponente. Aber reden, Dialog, Diplomatie sind mindestens gleich wichtig. Wir scheinen das zunehmend zu verlernen. So wie wir früher das Militär verteufelt haben, so wenig macht es jetzt Sinn, das Militärische als die alleinig selig machende Lösung zu sehen.

Der Untersuchungs-Ausschuss zu den Ermittlungen rund um den Tod des früheren Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek wurde jetzt eingesetzt. Was erwarten Sie davon?

Alles, was einer Sachaufklärung dient, und alles, womit die im Raum stehende Miss-Information geklärt werden kann, ist positiv. Ich hoffe aber gleichzeitig auch, dass er nicht zu einer politischen Schlammschlacht verkommt.

Was meinen Sie mit Miss-Information konkret?

Es gibt ja die unterschiedlichsten Theorien. Wir haben von Selbstmord „wie aus dem Bilderbuch“ bis hin zu Mord alles in der Diskussion. Es gibt viele Möglichkeiten dazwischen und das gehört einfach geklärt. Es ist
immerhin der mächtigste Beamte im Justizministerium unter fragwürdigen Umständen tot im Wasser aufgefunden worden. Da sind berechtigte Fragen offen. Und diese Fragen gehören in einem Rechtsstaat, in einer liberalen Demokratie im Sinne des Staatswohls, der Sicherheit und Freiheit geklärt.

Sie haben kritisiert, die Ermittlungen seien nicht nach den Regeln der Kunst geführt worden. Halten Sie das aufrecht?

Ja, die Ermittlungen sind im besten Fall im österreichischen Verständnis von „Dienst nach Vorschrift“ geführt worden. bike

Diversion: Keine Verurteilung, keine Vorstrafe:


Der Prozess gegen ÖVP-Klubchef August Wöginger wegen Amtsmissbrauches wurde mit einer Diversion samt Geldbuße von 44.000 Euro zunächst eingestellt. Ihm wurde vorgeworfen, bei einer Finanzamts-Postenbesetzung für einen Parteifreund interveniert zu haben. Wöginger entschuldigte sich.

Diversion bedeutet, dass „bei hinreichend geklärtem Sachverhalt auf die Durchführung eines förmlichen Strafverfahrens“ verzichtet wird. Sie ist kein Freispruch, aber es gibt auch keine formelle Verurteilung und keine Vorstrafe.
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