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Ausgabe Nr. 43/2025 vom 22.10.2025, Fotos: AdobeStock, zvg.
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Dr. Walter Rabl
Leichen lügen nicht, Teil 3
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Seit „Dr. Quincy“, der jeden Fall löst, sind sie populär. Im Fernsehen sind Gerichtsmediziner beliebt. Die Arbeit der Experten, die zwar keine Mordfälle aufklären, den Leichen jedoch so manches Geheimnis entlocken, wird in einem neuen Buch aufgezeigt.
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Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, ist naturgemäß wenig erbaulich. Beim Thema „Gerichtsmedizin“ fällt das nicht unbedingt leichter. Vor allem, wenn es um ungeklärte Todesfälle oder Mordverdacht geht. Durch eine von der Staatsanwaltschaft angeordnete Obduktion (Leichenöffnung) wird überprüft, ob eine Fremdeinwirkung ausgeschlossen oder bestätigt werden kann.

Beinahe unentdeckt wäre ein Tötungsdelikt geblieben, über das der Gerichtsmediziner Dr. Walter Rabl in seinem Buch „Leichen lügen nicht“ (Ueberreuter Verlag) berichtet.

Die Polizei wurde zu einem fünfstöckigen Mehrparteienhaus gerufen. Eine Mittdreißigerin lag tot auf dem Gehsteig, offenbar war sie von der Dachterrasse gesprungen.

Das erzählte der Witwer den Polizisten unter Tränen. Wie es bei einem Suizidverdacht vorgesehen ist, musste eine polizeiliche Dreierkommission die Leichenbeschau durchführen. Eine Kriminalbeamtin, ein Polizeijurist und ein Amtsarzt befanden, dass ein eindeutiger Suizid vorlag. Erst die Staatsanwältin hielt es für merkwürdig, dass die beruflich erfolgreiche, lebenslustige Frau, die keinen Abschiedsbrief hinterlassen hatte, vom Dach gesprungen sein sollte.

Der Ehemann rückte plötzlich ins Visier der Ermittler

Die daraufhin angeordnete gerichtsmedizinische Untersuchung zeigte klar, dass die Frau vor dem Sturz gewürgt wurde. Die dafür charakteristischen Einblutungen in den Bindehäuten der Augen wurden bei der Totenbeschau offensichtlich übersehen. Aufgrund der Obduktionsergebnisse rückte der Ehemann ins Visier der Ermittler. Er wurde wegen Totschlags zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

„Ohne Obduktion wäre der Fall wohl als Suizid in die Todesursachen-Statistik eingegangen“, meint der Gerichtsmediziner. Unweigerlich kommen ihm dabei Fälle in den Sinn, die in juristischen und polizeilichen Kreisen einigermaßen zynisch als „Scheidung alpin“ benannt werden. „Bricht ein Paar zu einer Berg- oder Schi-Tour auf und nur einer der beiden kehrt wohlbehalten zurück, steht mitunter der Verdacht im Raum, der tödliche Unfall könnte auch absichtlich herbeigeführt worden sein“, sagt er. Die Verletzungen durch einen Sturz vom Berg sind vielfältig.

„Sie stellen die Gerichtsmediziner bei der Suche nach einer Todesursache durchaus vor Herausforderungen.

Doch was von den Tätern häufig unterschätzt wird, ist, dass wir anhand präziser Methoden feststellen können, ob eine Person zum Zeitpunkt des Sturzes noch gelebt hat oder schon vorher getötet wurde, ob es Würgemale oder Spuren gibt, die auf ein Hinunterstoßen hinweisen, oder ob sich im Blut des oder der Verunfallten Substanzen befinden, die dort eigentlich nicht sein sollten.“

Grundsätzlich hält er es für alarmierend, dass die Anzahl der Obduktionen zurückgeht. Wurden im Jahr 2004 noch 16.747 Obduktionen durchgeführt, waren es 2022 laut Statistik Austria nur noch 6.821.

„Der Anteil der gerichtlich angeordneten Obduktionen, also wenn Mordverdacht besteht, liegt bei etwa 17 Prozent. Die werden von der Staatsanwaltschaft beauftragt und von Gerichtsmedizinern durchgeführt“, weiß Rabl, für den die Obduktion „der Goldstandard für die Feststellung der Todesursache“ ist.

„Sie liefert präzise Daten für die Todesursachen-Statistik und trägt wesentlich zur Feststellung von fremdverschuldeten Todesfällen bei. Bei Fremdverschulden muss es allerdings nicht immer Mord oder Totschlag sein, es kann sich auch um unterlassene Hilfeleistung oder eine ärztliche Fehlbehandlung handeln.“

Am häufigsten getötet wird mit dem Messer, gefolgt von Erwürgen beziehungsweise Erdrosseln. Schusswaffen sind laut dem Gerichtsmediziner eher selten und kommen vorwiegend bei Suiziden vor. Was bei Tötungsdelikten äußerst selten vorkommt, ist der Giftmord. Gerade einmal etwa 20 Tötungsdelikte durch Gift hat er in seinen 40 Jahren als Gerichtsmediziner gesehen.

Die alpenländische Tradition des „Ahnlvergiftens“

„Dem war nicht immer so, denken wir an die angeblich alpenländische Tradition des ,Ahnlvergiftens‘, der Beseitigung älterer Familienmitglieder, die nichts mehr zur Arbeit am Bauernhof beitragen konnten“, verweist der frühere Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin auf historische Berichte.

„Gift ist Frauensache“, den in vielen Krimis beliebten Satz will Rabl aus wissenschaftlicher Sicht nicht bestätigen. Lediglich ein Fall passt ins klischeehafte Bild.

„Der trug sich Mitte der 1980er Jahre in Tirol zu. Eine Frau hat ihrem Mann einen längeren Zeitraum hindurch regelmäßig Rattengift ins Essen gemischt. Die chronische toxische Belastung tötete den Mann nach mehreren Monaten, in denen er immer wieder unter unklaren Beschwerden litt. Bereits bei der äußeren Begutachtung der Leiche sind die verräterischen ,Mees’schen Bänder‘ aufgefallen. Das sind graue Querstreifen auf den Finger- und Zehennägeln, die typisch für eine Vergiftung mit Arsen, Thallium oder mit Krebsmedikamenten sind.“

Angesichts der modernen Toxikologie hält es der Gerichtsmediziner heute für fast unmöglich, dass ein Giftmörder eine Substanz findet, die in einer Laboruntersuchung nicht auffallen würde.

„Wir können tausende Stoffe nachweisen, selbst solche, nach denen wir gar nicht gezielt suchen.“


Die Zeit verwischt nicht alle Spuren

Giftmörder können sich auch dann nicht sicher fühlen, wenn ihr Geheimnis nicht gleich entdeckt wird. Zahlreiche Toxine lassen sich Jahrzehnte später noch nachweisen.

So geschehen im Fall eines Allgemeinmediziners. Auf den ersten Blick schien es eine Geschichte von Fürsorge zu sein. Ein Hausarzt kümmerte sich um eine betagte Witwe und deren behinderten Sohn. Als die Kräfte der alten Dame nachließen und sie mit dem Haushalt und der Betreuung des Sohnes nicht mehr zurechtkam, übersiedelten beide in ein Pflegeheim.

Auch dort kümmerte sich der Arzt um alle gesundheitlichen Fragen und war bei Beschwerden stets zur Stelle.

Nachdem Mutter und Sohn innerhalb kurzer Zeit eines laut Beschauarzt natürlichen Todes gestorben waren, kam es zur Überraschung. Der Arzt erbte die Wohnung. Was wie eine Geste der Dankbarkeit aussah, ließ bei Angehörigen und Bekannten die Alarmglocken schrillen. Hatte der Mediziner das Vertrauen seiner hilflosen Schützlinge missbraucht? Die Gerüchte verstummten selbst nach vielen Jahren nicht.

Aufgrund neuer Verdachtsmomente ordnete die Staatsanwaltschaft eine Exhumierung an. Die Strafprozessordnung sieht diese Möglichkeit vor, beerdigte Leichname wieder auszugraben, wenn davon neue Erkenntnisse zur Aufklärung einer Straftat zu erwarten sind.

Dr. Walter Rabl begab sich mit seinem Tatortkoffer zum Westfriedhof, nur einige Gehminuten von der Gerichtsmedizin Innsbruck entfernt.

„Als Sachverständiger sollte ich die Exhumierung des Familiengrabes überwachen und aus der Umgebung der Särge erste Proben der Erde entnehmen. Die Leichname waren in den Mitte der 1990er Jahre verwendeten nicht-verrottbaren Kunststoff-Leichensäcken erstaunlich gut konserviert. Ich konnte mehr als genügend Gewebematerial sicherstellen.

Was unser toxikologisches Labor in den Proben fand, erhärtete den Verdacht, dass der Tod von Mutter und Sohn alles andere als natürlich gewesen sein könnte. Neben den verschriebenen Medikamenten fanden sich Spuren von starken Schlafmitteln, Substanzen, die in den Krankengeschichten gar nicht vermerkt waren. Selbst nach zwei Jahrzehnten im Erdgrab war das noch nachweisbar.

Bevor es zum Strafprozess gegen den verdächtigen Arzt kam, erhängte sich dieser während der Untersuchungshaft in seiner Zelle.“
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