Leichen lügen nicht, Teil 2
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Seit „Dr. Quincy“, der jeden Fall löst, sind die Gerichtsmediziner im Fernsehen beliebt. Die Arbeit der wahren Experten, die zwar keine Mordfälle aufklären, den Leichen jedoch so manches Geheimniss entlocken, wird in einem neuen Buch aufgezeigt.
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Sie sind tagtäglich mit dem Tod, mit Gewalt und Verbrechen konfrontiert. Gerichtsmediziner untersuchen nicht nur die Opfer körperlicher Gewalt. Ihre wohl wichtigste Aufgabe ist das Aufklären ungeklärter oder nicht natürlicher Todesfälle.
Eine emotionale Belastung, die die Sichtweise auf die Endlichkeit des Lebens verändern kann. „Ich wage zu behaupten, dass Gerichtsmediziner ein vergleichsweise natürlicheres Verhältnis zum Tod und zum Sterben pflegen. Zumal der Leichnam mit dem lebenden Menschen nicht mehr viel zu tun hat“, sagt Dr. Walter Rabl. „Bei einer Leiche handelt es sich um ein von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmtes Beweisstück, nichts anderes als ein Computer oder ein Auto. Denn all das, was einen Menschen ausmacht, ist bei der Leiche nicht mehr da. Egal, wie man es benennt – Seele oder Geist – es ist schlichtweg nicht mehr da. Der Leichnam ist rechtlich eine Sache und keine Person mehr“, so
der Gerichtsmediziner Rabl.
Der Autor des Buches „Leichen lügen nicht“ (Ueberreuter Verlag) war bis zu seiner Pensionierung Ende 2024 stellvertretender Direktor des Institutes für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck und 20 Jahre lang Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin. Seinen Beruf erachtet er als „emotional weniger belastend als die Arbeit eines Polizisten, der an demselben Fall arbeitet, jedoch die Aufgabe hat, den Eltern mitzuteilen, dass der Sohn bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist“.
Im Ausland verdienen Gerichtsmediziner das Doppelte
Eher beunruhigt ihn die Tatsache, dass es hierzulande nur knapp 30 Gerichtsmediziner, davon 22 beeidete Sachverständige, gibt. „Was wenig ist, eigentlich zu wenig. Das Interesse an der Rechtsmedizin ist wohl vorhanden. Aber da in Deutschland und in der Schweiz ebenso Nachwuchssorgen herrschen, gehen unsere Absolventen dorthin und verdienen zwei oder drei Mal so viel wie bei uns“, weist er auf den Missstand hin.
Zugleich hebt er hervor, dass die gerichtsmedizinische Qualität hoch ist, „wir brauchen uns international nicht
verstecken“. Sein Kollege, der Molekularbiologe Walther Parson, hat am Gerichtsmedizinischen Institut Innsbruck
die weltweit größte mitochondriale DNA-Datenbank aufgebaut.
„Wenn in Amerika bei der zentralen Sicherheitsbehörde FBI ein Fall auf Basis der mitochondrialen DNA (spezielles Erbgut, das ausschließlich von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben wird) geklärt werden muss, kommen die Ergebnisse zur Qualitätskontrolle nach Innsbruck.“
Und nicht zuletzt ist unser Land die Wiege der Gerichtsmedizin, „von Wien aus wurde sie besiegelt. Eduard von Hofmann (1837–1897), der Pionier auf diesem Gebiet, veröffentlichte 1878 das Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, das zum internationalen Standardwerk dieses Faches wurde“, sagt Rabl.
Hofmanns berühmtester Fall war wohl der mysteriöse Tod des Kronprinzen Rudolf in Mayerling. Dass sich in dem niederösterreichischen Ort im Wienerwald jährlich etwa 100.000 Besucher einfinden, liegt an diesem tragischen Fall. Kronprinz Rudolf, der 31jährige Thronfolger, erschoss in dem Jagdschloss zunächst seine Geliebte Mary Vetsera und nahm sich dann selbst das Leben.
Eduard von Hofmann wies den Selbstmord nach, was ein kirchliches Begräbnis anno 1889 unmöglich gemacht hätte. Gleichzeitig bestätigte der Gerichtsmediziner jedoch, dass der Kronprinz an geistiger Verwirrtheit gelitten hat und seine Tat eine Konsequenz daraus war.
Jedes Gebiss hinterlässt einzigartige Spuren
Somit wurde ein kirchliches Begräbnis gestattet. Wichtig für Hofmanns Arbeit, selbst wenn dies makaber klingt, war der Brand des Ringtheaters im Dezember 1881. Bei einer der größten Feuerkatastrophen Europas kamen mindestens 400 Menschen ums Leben, die genaue Anzahl konnte nie eruiert werden. Hofmann wies Kohlenmonoxid im Blut der Leichen nach und „bewies damit, dass Rauchgasvergiftungen zum Tod führen können“.
Er erbrachte damit den „Nachweis, dass das Einatmen von Rauchgasen ein sicherer Beweis dafür ist, dass jemand lebendig verbrannt ist und dass das Fehlen dieser Gase im Blut einen sicheren Hinweis für postmortales Verbrennen darstellt“, kommentierte die Medizinische Universität Wien.
Im Zuge des Ringtheaterbrandes wurde erstmals die zahnmedizinische Identifizierung angewandt. Der Nutzen einer speziellen „Gerichtlichen Zahnheilkunde“ wurde 1862 von Paul Pfeffermann beschrieben. Die Körper der Opfer waren durch das Feuer dermaßen zerstört, dass nur noch der Zahnstatus (Zähne und Zahnfüllen können Temperaturen bis zu 1.200 Grad überstehen) zur Identifizierung dienen konnte. Damit wurde der Grundstein für die später weltberühmte „Wiener Schule der Kriminalistik“ gelegt.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich ebenfalls an Merkmalen der Zähne erkennen. Der obere mittlere Schneidezahn ist bei Frauen breiter als der Eckzahn, bei Männern sind die beiden Zähne gleich breit. Als 1943 eine 5.000 Jahre alte Moorleiche im schwedischen Falköping entdeckt wurde, konnte nicht nur festgestellt werden, dass es sich bei der letzten Mahlzeit um Himbeeren handelte, weil sich im Magen Himbeersamen befanden. Auch ließ die Position der oberen, noch nicht durchbrochenen Weisheitszähne auf das Alter schließen. Die jungsteinzeitliche Dame war etwa 25 Jahre alt.
„Zähne und Zahnprothesen spielen nicht nur deshalb eine wichtige Rolle bei der Identifizierung, weil sie so einzigartige Merkmale liefern wie ein Fingerabdruck, sondern auch, weil sie sogar dann erhalten bleiben, wenn ein Körper sonst weitgehend zerstört ist“, erklärt Dr. Rabl, der nach der Tsunami-Katastrophe im Dezember
2004 in Südostasien als Gerichtsmediziner vor Ort war. Die Flutwelle infolge eines starken Erdbebens riss mehr als 230.000 Menschen in den Tod.
„Die Behörden übergaben unserem Team Leichen, die dem äußeren Anschein nach für Touristen gehalten wurden. Wir identifizierten mehr als 80 Opfer aus 17 Ländern. Für die DNA-Abgleiche entnahmen wir, wo es möglich war, Abstriche aus der Mundhöhle. Bei fortgeschrittener Verwesung musste aus Zähnen oder Knochen DNA extrahiert werden“, erinnert sich der Tiroler.
Heute wird der Prozess des Identifizierens von Toten durch die moderne Bildgebung unterstützt. Computertomographie-Aufnahmen können den Abgleich des Zahnstatus erleichtern oder dabei helfen, Implantate im leblosen Körper zu finden.
Urzeit-Fund: Die hierzulande wohl älteste Promi-Leiche
In der Liste der ältesten prominenten Leichen rangiert ein urzeitlicher Mumienfund an erster Stelle. „Ötzi“ wurde im Frühherbst 1991 am Institut für Gerichtliche Medizin in Innsbruck untersucht. „Als er an unser Institut gebracht wurde, war ich gerade zu Forschungszwecken in der Schweiz“, erzählt Dr. Rabl.
„Meinem damaligen Chef, Professor Rainer Henn, ist es zu verdanken, dass der ,Ötzi‘ Bedeutung erlangt hat. Er ist aus persönlichem Interesse mit der Polizei an den Fundort geflogen.
Der Oberarzt hat dort bereits mit der äußeren Besichtigung begonnen und war nahe daran, ,Ötzi‘ zu obduzieren. Rainer Henn hat das gerade noch verhindert. Er zog Dr. Konrad Spindler, einen Spezialisten der Ur- und Frühgeschichte bei. Erst durch den Prähistoriker kam zutage, um welch sensationellen Fund es sich handelte.
Sonst wäre die Leiche klassisch obduziert und anonym beerdigt worden.“ Nun kann die Gletschermumie im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besucht werden.
Aufbewahrt wird „Ötzi“ in einer speziellen Kühlkammer.
Alte Fälle und neue Erkenntnisse
Dass neue Erkenntnisse dabei helfen, „Cold Cases“ (alte Fälle) zu lösen, jedoch nicht zwangsläufig zur Verurteilung eines Täters führen, beschreibt Walter Rabl anhand unterschiedlicher Fälle in seinem Buch „Leichen lügen nicht“.
„Die Salzburgerin Helga Z. kam 1991 zu Tode. Zwanzig Jahre später landete der Fall auf meinem Schreibtisch. Die Eltern hatten ein neues Gutachten beauftragt. Die genauen Todesumstände der 26jährigen Mutter einer kleinen Tochter waren nie geklärt worden. Die Szenerie, die sich damals den Ermittlern bot, war mysteriös. Die Frau lag tot in ihrer Wohnung, in der Nähe des Leichnams befanden sich nicht angezündete Molotow-Cocktails.
Die Hinweise auf Gewalt waren deutlich
Der Witwer stand zwar unter Mordverdacht, am Ende blieb nur eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung. Selbst die hielt nicht. Das Oberlandesgericht sprach ihn im Zweifel frei. Die Beweislage habe keine Klärung der Todesursache zugelassen. Als ich mich 20 Jahre später durch alle Befunde und Unterlagen arbeitete, fand ich die Beweislage allerdings überzeugend.
Mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit war Helga Z. einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Die Hinweise auf Gewalt gegen den Hals waren deutlich: ein gebrochener Ringknorpel, Stauungsblutungen in den Augenbindehäuten, Blutunterlaufungen in den Weichteilen – alles typische Muster einer Erdrosselung. In den ursprünglichen Gutachten wurden diese Befunde erstaunlicherweise ganz anders interpretiert.
Für eine späte Gerechtigkeit reichte das aber nicht, 2013 wurde das Verfahren endgültig eingestellt.
Im Strafrecht gilt eben ein – aus Sicht der Rechtsstaatlichkeit auch wichtiger – Grundsatz, selbst wenn er im Einzelfall frustrierend sein mag: Um jemanden verurteilen zu können, muss die Beweislage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben sein oder, anders gesagt, ,im Zweifel für den Angeklagten‘. Es heißt zwar, auf hoher See und vor Gericht sei man in Gottes Hand, aber handfeste Belege tragen doch das Ihre zur Rechtssicherheit bei.“
Nach wie vor ungeklärt: der „Bleistiftmord“
Eine unterbrochene Beweiskette ist der Grund dafür, dass ein Mordfall aus dem Jahr 1973 nach wie vor ungeklärt ist. Seit 1997, seitdem es die Nationale DNA-Datenbank gibt, wurde unter anderem dieser alte Fall aufgerollt: Im Jahr 1973 war in Wien ein Mädchen missbraucht und mit einem Bleistift getötet worden. Bekannt wurde die brutale Tat als „Bleistiftmord“.
An dem Bleistift wurde ein einzelnes Haar sichergestellt. Mittels molekularbiologischer Methoden, die es in den 1970er Jahren noch nicht gab, konnte das Haar typisiert werden. Es ergab sich eine Übereinstimmung mit einem Mann, der zum Kreis der Tatverdächtigen zählte.
Der Fall schien geklärt. Letztlich konnte aber nicht eindeutig nachvollzogen werden, wo sich dieses Haar im Lauf der Jahrzehnte befunden hatte und ob das neu untersuchte Haar tatsächlich das Haar vom Bleistift war.
Im Zweifel für den Angeklagten war deshalb ein Freispruch vom Verdacht des Mordes die Folge.
Infos zur Nationalen DNA-Datenbank
Mehr als 800 Mordfälle und 900 Vergewaltigungen konnten seit Einführung der Datenbank 1997 mithilfe von DNA-Analysen geklärt werden.
Mehr als 34.000 Tatverdächtige konnten identifiziert werden, die an rund 42.000 Tatorten ihre Spuren hinterlassen haben.
Mehr als 280.000 Personenprofile von Straftätern sind
in der DNA-Datenbank gespeichert und 160.000 Spurenprofile, die bislang keiner Person zugeordnet werden können.
Eine emotionale Belastung, die die Sichtweise auf die Endlichkeit des Lebens verändern kann. „Ich wage zu behaupten, dass Gerichtsmediziner ein vergleichsweise natürlicheres Verhältnis zum Tod und zum Sterben pflegen. Zumal der Leichnam mit dem lebenden Menschen nicht mehr viel zu tun hat“, sagt Dr. Walter Rabl. „Bei einer Leiche handelt es sich um ein von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmtes Beweisstück, nichts anderes als ein Computer oder ein Auto. Denn all das, was einen Menschen ausmacht, ist bei der Leiche nicht mehr da. Egal, wie man es benennt – Seele oder Geist – es ist schlichtweg nicht mehr da. Der Leichnam ist rechtlich eine Sache und keine Person mehr“, so
der Gerichtsmediziner Rabl.
Der Autor des Buches „Leichen lügen nicht“ (Ueberreuter Verlag) war bis zu seiner Pensionierung Ende 2024 stellvertretender Direktor des Institutes für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck und 20 Jahre lang Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin. Seinen Beruf erachtet er als „emotional weniger belastend als die Arbeit eines Polizisten, der an demselben Fall arbeitet, jedoch die Aufgabe hat, den Eltern mitzuteilen, dass der Sohn bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist“.
Im Ausland verdienen Gerichtsmediziner das Doppelte
Eher beunruhigt ihn die Tatsache, dass es hierzulande nur knapp 30 Gerichtsmediziner, davon 22 beeidete Sachverständige, gibt. „Was wenig ist, eigentlich zu wenig. Das Interesse an der Rechtsmedizin ist wohl vorhanden. Aber da in Deutschland und in der Schweiz ebenso Nachwuchssorgen herrschen, gehen unsere Absolventen dorthin und verdienen zwei oder drei Mal so viel wie bei uns“, weist er auf den Missstand hin.
Zugleich hebt er hervor, dass die gerichtsmedizinische Qualität hoch ist, „wir brauchen uns international nicht
verstecken“. Sein Kollege, der Molekularbiologe Walther Parson, hat am Gerichtsmedizinischen Institut Innsbruck
die weltweit größte mitochondriale DNA-Datenbank aufgebaut.
„Wenn in Amerika bei der zentralen Sicherheitsbehörde FBI ein Fall auf Basis der mitochondrialen DNA (spezielles Erbgut, das ausschließlich von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben wird) geklärt werden muss, kommen die Ergebnisse zur Qualitätskontrolle nach Innsbruck.“
Und nicht zuletzt ist unser Land die Wiege der Gerichtsmedizin, „von Wien aus wurde sie besiegelt. Eduard von Hofmann (1837–1897), der Pionier auf diesem Gebiet, veröffentlichte 1878 das Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, das zum internationalen Standardwerk dieses Faches wurde“, sagt Rabl.
Hofmanns berühmtester Fall war wohl der mysteriöse Tod des Kronprinzen Rudolf in Mayerling. Dass sich in dem niederösterreichischen Ort im Wienerwald jährlich etwa 100.000 Besucher einfinden, liegt an diesem tragischen Fall. Kronprinz Rudolf, der 31jährige Thronfolger, erschoss in dem Jagdschloss zunächst seine Geliebte Mary Vetsera und nahm sich dann selbst das Leben.
Eduard von Hofmann wies den Selbstmord nach, was ein kirchliches Begräbnis anno 1889 unmöglich gemacht hätte. Gleichzeitig bestätigte der Gerichtsmediziner jedoch, dass der Kronprinz an geistiger Verwirrtheit gelitten hat und seine Tat eine Konsequenz daraus war.
Jedes Gebiss hinterlässt einzigartige Spuren
Somit wurde ein kirchliches Begräbnis gestattet. Wichtig für Hofmanns Arbeit, selbst wenn dies makaber klingt, war der Brand des Ringtheaters im Dezember 1881. Bei einer der größten Feuerkatastrophen Europas kamen mindestens 400 Menschen ums Leben, die genaue Anzahl konnte nie eruiert werden. Hofmann wies Kohlenmonoxid im Blut der Leichen nach und „bewies damit, dass Rauchgasvergiftungen zum Tod führen können“.
Er erbrachte damit den „Nachweis, dass das Einatmen von Rauchgasen ein sicherer Beweis dafür ist, dass jemand lebendig verbrannt ist und dass das Fehlen dieser Gase im Blut einen sicheren Hinweis für postmortales Verbrennen darstellt“, kommentierte die Medizinische Universität Wien.
Im Zuge des Ringtheaterbrandes wurde erstmals die zahnmedizinische Identifizierung angewandt. Der Nutzen einer speziellen „Gerichtlichen Zahnheilkunde“ wurde 1862 von Paul Pfeffermann beschrieben. Die Körper der Opfer waren durch das Feuer dermaßen zerstört, dass nur noch der Zahnstatus (Zähne und Zahnfüllen können Temperaturen bis zu 1.200 Grad überstehen) zur Identifizierung dienen konnte. Damit wurde der Grundstein für die später weltberühmte „Wiener Schule der Kriminalistik“ gelegt.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich ebenfalls an Merkmalen der Zähne erkennen. Der obere mittlere Schneidezahn ist bei Frauen breiter als der Eckzahn, bei Männern sind die beiden Zähne gleich breit. Als 1943 eine 5.000 Jahre alte Moorleiche im schwedischen Falköping entdeckt wurde, konnte nicht nur festgestellt werden, dass es sich bei der letzten Mahlzeit um Himbeeren handelte, weil sich im Magen Himbeersamen befanden. Auch ließ die Position der oberen, noch nicht durchbrochenen Weisheitszähne auf das Alter schließen. Die jungsteinzeitliche Dame war etwa 25 Jahre alt.
„Zähne und Zahnprothesen spielen nicht nur deshalb eine wichtige Rolle bei der Identifizierung, weil sie so einzigartige Merkmale liefern wie ein Fingerabdruck, sondern auch, weil sie sogar dann erhalten bleiben, wenn ein Körper sonst weitgehend zerstört ist“, erklärt Dr. Rabl, der nach der Tsunami-Katastrophe im Dezember
2004 in Südostasien als Gerichtsmediziner vor Ort war. Die Flutwelle infolge eines starken Erdbebens riss mehr als 230.000 Menschen in den Tod.
„Die Behörden übergaben unserem Team Leichen, die dem äußeren Anschein nach für Touristen gehalten wurden. Wir identifizierten mehr als 80 Opfer aus 17 Ländern. Für die DNA-Abgleiche entnahmen wir, wo es möglich war, Abstriche aus der Mundhöhle. Bei fortgeschrittener Verwesung musste aus Zähnen oder Knochen DNA extrahiert werden“, erinnert sich der Tiroler.
Heute wird der Prozess des Identifizierens von Toten durch die moderne Bildgebung unterstützt. Computertomographie-Aufnahmen können den Abgleich des Zahnstatus erleichtern oder dabei helfen, Implantate im leblosen Körper zu finden.
Urzeit-Fund: Die hierzulande wohl älteste Promi-Leiche
In der Liste der ältesten prominenten Leichen rangiert ein urzeitlicher Mumienfund an erster Stelle. „Ötzi“ wurde im Frühherbst 1991 am Institut für Gerichtliche Medizin in Innsbruck untersucht. „Als er an unser Institut gebracht wurde, war ich gerade zu Forschungszwecken in der Schweiz“, erzählt Dr. Rabl.
„Meinem damaligen Chef, Professor Rainer Henn, ist es zu verdanken, dass der ,Ötzi‘ Bedeutung erlangt hat. Er ist aus persönlichem Interesse mit der Polizei an den Fundort geflogen.
Der Oberarzt hat dort bereits mit der äußeren Besichtigung begonnen und war nahe daran, ,Ötzi‘ zu obduzieren. Rainer Henn hat das gerade noch verhindert. Er zog Dr. Konrad Spindler, einen Spezialisten der Ur- und Frühgeschichte bei. Erst durch den Prähistoriker kam zutage, um welch sensationellen Fund es sich handelte.
Sonst wäre die Leiche klassisch obduziert und anonym beerdigt worden.“ Nun kann die Gletschermumie im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besucht werden.
Aufbewahrt wird „Ötzi“ in einer speziellen Kühlkammer.
Alte Fälle und neue Erkenntnisse
Dass neue Erkenntnisse dabei helfen, „Cold Cases“ (alte Fälle) zu lösen, jedoch nicht zwangsläufig zur Verurteilung eines Täters führen, beschreibt Walter Rabl anhand unterschiedlicher Fälle in seinem Buch „Leichen lügen nicht“.
„Die Salzburgerin Helga Z. kam 1991 zu Tode. Zwanzig Jahre später landete der Fall auf meinem Schreibtisch. Die Eltern hatten ein neues Gutachten beauftragt. Die genauen Todesumstände der 26jährigen Mutter einer kleinen Tochter waren nie geklärt worden. Die Szenerie, die sich damals den Ermittlern bot, war mysteriös. Die Frau lag tot in ihrer Wohnung, in der Nähe des Leichnams befanden sich nicht angezündete Molotow-Cocktails.
Die Hinweise auf Gewalt waren deutlich
Der Witwer stand zwar unter Mordverdacht, am Ende blieb nur eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung. Selbst die hielt nicht. Das Oberlandesgericht sprach ihn im Zweifel frei. Die Beweislage habe keine Klärung der Todesursache zugelassen. Als ich mich 20 Jahre später durch alle Befunde und Unterlagen arbeitete, fand ich die Beweislage allerdings überzeugend.
Mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit war Helga Z. einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Die Hinweise auf Gewalt gegen den Hals waren deutlich: ein gebrochener Ringknorpel, Stauungsblutungen in den Augenbindehäuten, Blutunterlaufungen in den Weichteilen – alles typische Muster einer Erdrosselung. In den ursprünglichen Gutachten wurden diese Befunde erstaunlicherweise ganz anders interpretiert.
Für eine späte Gerechtigkeit reichte das aber nicht, 2013 wurde das Verfahren endgültig eingestellt.
Im Strafrecht gilt eben ein – aus Sicht der Rechtsstaatlichkeit auch wichtiger – Grundsatz, selbst wenn er im Einzelfall frustrierend sein mag: Um jemanden verurteilen zu können, muss die Beweislage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben sein oder, anders gesagt, ,im Zweifel für den Angeklagten‘. Es heißt zwar, auf hoher See und vor Gericht sei man in Gottes Hand, aber handfeste Belege tragen doch das Ihre zur Rechtssicherheit bei.“
Nach wie vor ungeklärt: der „Bleistiftmord“
Eine unterbrochene Beweiskette ist der Grund dafür, dass ein Mordfall aus dem Jahr 1973 nach wie vor ungeklärt ist. Seit 1997, seitdem es die Nationale DNA-Datenbank gibt, wurde unter anderem dieser alte Fall aufgerollt: Im Jahr 1973 war in Wien ein Mädchen missbraucht und mit einem Bleistift getötet worden. Bekannt wurde die brutale Tat als „Bleistiftmord“.
An dem Bleistift wurde ein einzelnes Haar sichergestellt. Mittels molekularbiologischer Methoden, die es in den 1970er Jahren noch nicht gab, konnte das Haar typisiert werden. Es ergab sich eine Übereinstimmung mit einem Mann, der zum Kreis der Tatverdächtigen zählte.
Der Fall schien geklärt. Letztlich konnte aber nicht eindeutig nachvollzogen werden, wo sich dieses Haar im Lauf der Jahrzehnte befunden hatte und ob das neu untersuchte Haar tatsächlich das Haar vom Bleistift war.
Im Zweifel für den Angeklagten war deshalb ein Freispruch vom Verdacht des Mordes die Folge.
Infos zur Nationalen DNA-Datenbank
Mehr als 800 Mordfälle und 900 Vergewaltigungen konnten seit Einführung der Datenbank 1997 mithilfe von DNA-Analysen geklärt werden.
Mehr als 34.000 Tatverdächtige konnten identifiziert werden, die an rund 42.000 Tatorten ihre Spuren hinterlassen haben.
Mehr als 280.000 Personenprofile von Straftätern sind
in der DNA-Datenbank gespeichert und 160.000 Spurenprofile, die bislang keiner Person zugeordnet werden können.
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