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Ausgabe Nr. 23/2025 vom 03.06.2025, Fotos: picturedesk.com
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Nobelpreisträgers Thomas Mann († 12. August 1955)
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Nobelpreisverleihung 1929 in Schweden.
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Haus in Kilchberg am Zürichsee.
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Seine Frau mit den sechs Kindern.
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Mann‘s Grab in Kilchberg.
Zum 150. Geburtstag des Nobelpreisträgers Thomas Mann: Verhasst bei den Lehrern
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Geliebt, gehasst und viel gelesen. Den Konservativen war er zu intellektuell, den Gelehrten zu deutsch, den Kollegen zu bürgerlich. Thomas Mann, einer der wichtigsten Schriftsteller im deutschen Sprachraum des 20. Jahrhunderts, erhitzte die Gemüter.
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Seine Familie, die Verwandten und die Freunde, das ganze Leben war für Thomas Mann literarisches Material. Sein gesamtes Werk ist ein ständiges Gespräch mit der Welt und mit sich selbst.

Als zweitältester Sohn am 6. Juni 1875 in Lübeck (D) geboren, wuchs der Schriftsteller mit vier Geschwistern „gehegt und glücklich“ auf. Seine Eltern konnten unterschiedlicher nicht sein. Der Vater, der als Patrizier die bürgerliche Hansestadt repräsentierte, führte als angesehener Senator den Getreide-Handelsbetrieb. Die Mutter beschrieb Thomas Mann als „außerordentlich schön, temperamentvoll und von unverkennbarer spanischer Turnüre (Gewandtheit)“. Ihr südländisches Temperament und ihre Leidenschaft für die Kunst bildeten einen starken Kontrast zum kaufmännischen Gehabe des Vaters.

In die Schule, die er als „stumpfsinnig“ empfand, ging der Jahrhundert-Schriftsteller gar nicht gern. „Ich war schon in der Grundschule so faul wie der Westerwald, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze, verhasst bei den Lehrern …“, schrieb er in einem seiner Tagebücher.

Ein Schulabbrecher mit schlechter Deutsch-Note

Für den Abschluss der Mittleren Reife am „Katharineum zu Lübeck“ benötigte er neun statt sechs Jahre. Mit einem „Befriedigend“ in Deutsch, weil er Probleme beim Schreiben von Aufsätzen hatte, brach er die Schule vor der Matura ab und begann eine Lehre im Buchhandel. Später musste er sich dem verhassten Militärdienst stellen. „Tauglich für alle Waffengattungen“, wurde ihm im Jahr 1900 bei seiner Musterung bescheinigt. Mann wurde zum Königlich Bayerischen Infanterie-Leib-Regiment abkommandiert. „Thomas Mann verbrachte die meiste Zeit im Lazarett und wurde dann wegen angeblicher Plattfüße nach nur drei Monaten als untauglich entlassen“, fasst André Port le roi in seinem Buch „Thomas Mann – Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ (Klartext-Verlag) zusammen.

Zu den angeblichen Plattfüßen hat ihm seine brasilianische Mutter Julia da Silva-Bruhns (1851–1923) verholfen. Sie hatte gute Beziehungen zu einem Oberstabsarzt. Erlebnisse aus seiner kurzen militärischen Laufbahn verarbeitete Mann später in seinem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Es ist der einzige Roman, den Thomas Mann in der Ich-Form schrieb. Der Titelheld legt darin im Alter von etwa 40 Jahren seine Memoiren vor.

Die Romanfigur ist etwa der gleiche Jahrgang wie Thomas Mann und bekommt als Sohn eines Sektfabrikanten aufwachsend autobiografische Züge des späteren Nobelpreisträgers mit. Spürbar ist das Gefühl des Außenseiters, der sich zu Höherem berufen fühlt, ähnlich wie es Thomas Mann in einem seiner Briefe beschreibt. „Was ich treibe, ist eine Art von harmloser Hochstapelei, vielleicht bin ich gerade hiermit und auf diese Weise ein Dichter.“

Das ausgeprägte künstlerische Interesse seiner beiden ältesten Kinder bereitete dem Vater Thomas Johann Heinrich Mann großen Kummer. Daher verfügte der Lübecker Kaufmann bereits früh in seinem Testament, dass mit seinem Tod die Firma aufgelöst werden soll. Er traute Heinrich und Thomas die Nachfolge schlicht nicht zu. Die Charaktere der Eltern verarbeitete Thomas Mann ebenfalls in einem Werk und zwar in seiner Novelle „Tonio Kröger“ (1903). Darin wird der junge Tonio Schriftsteller, sehnt sich jedoch nach bürgerlicher Anständigkeit. „Man ist als Künstler innerlich immer Abenteurer genug“, heißt es in der Novelle. „Äußerlich soll man sich gut anziehen, zum Teufel, und sich benehmen wie ein anständiger Mensch.“

Auch Thomas Mann war fest entschlossen, anständig zu leben. Als der Vater im Jahr 1891 starb, konnte er dank des Erbes bereits in jungen Jahren angemessen Hof halten. Zumal die Mutter, die mit den drei jüngeren Kindern nach München (D) übersiedelte, ihre ältesten Söhne Heinrich und Thomas, beim Wunsch Schriftsteller zu werden, unterstützte.

Ab dem Jahr 1901, seit dem Erfolg des ersten Romans „Die Buddenbrooks“, das Urbild aller Familienromane, finanzierte sich Thomas Mann aus eigener Kraft. Die Generationen-Chronik erzählt vom Glanz und dem Verfall einer Kaufmannsfamilie. Der Verleger Samuel Fischer hatte vor der Veröffentlichung eine Bedingung gestellt. Mann möge sein handgeschriebenes Werk um die Hälfte kürzen. „Leider gingen große Teile des Schriftwechsels verloren, in denen es dem Dichter schmeichelnd und bisweilen charmant drohend gelang, den Verleger umzustimmen“, erklärt André Port le roi.

Der verletzte Stolz der Bürger einer Stadt

Thomas Mann selbst beschrieb „Die Buddenbrooks“ als „langweiliges, bürgerliches Zeug, aber es handelt vom Verfall, und genau das ist der literarische Wert.“ Der dicke Wälzer kam in der Heimatstadt des Dichters gar nicht gut an. Zu offensichtlich waren die Ähnlichkeiten, die Lübecker fühlten sich in ihrem Stolz verletzt und lächerlich gemacht.

Im Jahr 1905 wagte der Schriftsteller einen weiteren Schritt zu einer bürgerlichen Existenz. Er heiratete Katharina „Katia“ Pringsheim (1883–1980), die Tochter einer wohlhabenden Münchener Gelehrtenfamilie. Klug und hübsch war sie und die beste Partie der Stadt.

Katia Mann selbst hat in ihren Memoiren beschrieben, wie sie Thomas Mann aufgefallen ist. „Wir fuhren beide häufig mit der gleichen Straßenbahn, als er meinen Streit mit dem Fahrkartenkontrolleur beobachtete. Am Ende sprang ich wütend aus der Bahn und der Schaffner schimpfte hinter mir her. Mein Mann war so entzückt, dass er gesagt hat, schon immer wollte ich sie kennenlernen, nun muss es sein“. Das war der Beginn einer erfüllten Alltagspartnerschaft. Seine Frau hielt ihm aufopferungsvoll den Rücken frei. Auf ihrem Briefkopf prangte statt des eigenen Namens „Frau Thomas Mann“.

Dass ihr Gatte immer wieder gern ein Auge auf junge Männer warf, störte sie offenbar nicht weiter. Den Aussagen ihrer sechs Kinder folgend, muss die Ehe glücklich gewesen sein, ein liebender und zugewandter Vater sei der Schriftsteller allerdings nicht gewesen. Oft wurde die Kälte beschrieben, unter der seine Kinder litten, und deren „Angst, ihm nicht zu genügen oder nicht interessant genug zu sein“. „Er hat seine Kinder nicht angeschrien oder gar körperlich gezüchtigt, wie es zu dieser Zeit noch gängig war. Die Distanz, die Thomas Mann zu seinen Kindern hielt war die gleiche, die er zu fast allen Menschen pflegte“, sagt der Germanist und Thomas-Mann-Experte.

Der Familie ging es blendend. Die Tantiemen ermöglichten Thomas Mann den Kauf einer Münchener Villa in der Poschingerstraße, die von seinen Kindern liebevoll „Poschi“ genannt wurde.

Dass Thomas Mann viele Erfolge feierte, ist unbestritten. Seinen größten Erfolg empfand er allerdings zugleich als tiefste Kränkung. Bei der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1929 wurde ihm die Auszeichnung für sein drei Jahrzehnte zuvor erschienenes Werk „Die Buddenbrooks“ zugesprochen. Sein 1924 erschienener Roman „Der Zauberberg“, zu dem er durch den Besuch eines Sanatoriums in Davos in der Schweiz inspiriert wurde, fand keine Erwähnung. Insgesamt zehn Jahre hatte der Autor an seinem tausendseitigen „opus magnum“ gearbeitet. Entsprechend verstimmt nahm er die Ehrung von König Gustav V. in Stockholm entgegen. „Von einem Teil des Preisgeldes in der Höhe von 200.000 Reichsmark ließ er sich das Ferienhaus im ostpreußischen Nidden erbauen und bezahlte die Schulden seiner Kinder Erika und Klaus“, erklärt André Port le roi.

Nur vier Jahre später musste die Familie mit ansehen, wie ihnen die Nazis die Villa in München sowie große Teile ihres Vermögens raubten und ihm die Staatsbürgerschaft aberkannten.

Im Frühjahr 1933, kurz nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, entschlossen sich Thomas und Katia Mann, in die Schweiz zu übersiedeln. In Küsnacht am Zürichsee waren sie aufgrund einer „Toleranzbewilligung“ nur geduldet.

„Der deutsche Gesandte in Bern forderte ihre Ausweisung. Der Stadtrat des tschechischen Ortes Prosec bot ihm die Staatsbürgerschaft an“, erläutert Port le roi. Mit den neuen Pässen reisten die Manns im Jahr 1938 in die USA und wurden amerikanische Staatsbürger. Zunächst lebten sie in Princeton (New Jersey), von 1941 bis 1952 fanden sie in der Siedlung Pacific Palisades in Kalifornien Zuflucht.

Vergebliches Warten auf die Schweizer Staatsbürgerschaft

Ab dem Jahr 1940 rief Mann aus der Ferne die Deutschen in Radio-Ansprachen (zum Beispiel: „Deutsche Hörer, ein düsteres Jubiläum will begangenen sein. Zehn Jahre Nationalsozialismus. Was haben sie dem deutschen Volk gebracht, den Krieg, den Hitler-Krieg, in dem eure Söhne zu Millionen verbluten …“) zum Widerstand auf. Die BBC strahlte die Reden in Manns alter Heimat aus, per Langwelle und damit an der Nazi-Zensur vorbei.

Parallel dazu begann der Literatur-Nobelpreisträger an „Doktor Faustus“ (1947) zu arbeiten. In dem Roman erzählt er vom Pakt eines Tonsetzers mit dem Teufel – ein Sinnbild für das Verhängnis Deutschlands.

Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er erstmals in sein Heimatland zurück. Als Mann während der McCarthy-Ära unter Kommunismusverdacht geriet, kehrte er 1952 endgültig nach Europa zurück. Er ließ sich erneut in der Schweiz nieder, zunächst in Erlenbach, dann in Kilchberg bei Zürich. Bis zuletzt schrieb er unermüdlich, 1954 erschienen „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Der titelgebende Held ist der Sohn eines bankrotten Schaumweinfabrikanten. Sein Talent besteht darin, die Menschen zu täuschen.

Auf legalem Weg wollte Mann hingegen als Schweizer Bürger anerkannt werden und hat sich deshalb ab dem Jahr 1952 um das Bürgerrecht beworben. Die Zeit hat nicht mehr gereicht. Am 12. August 1955 starb der an Lungenkrebs erkrankte Thomas Mann an einem Riss in der Bauchschlagader, als Amerikaner im Kantonsspital in Zürich.

Was bleibt ist sein literarisches Erbe und sein Lieblingsenkel Frido Mann, 84, der Sohn seines jüngsten Sprosses Michael. Er lebt ebenfalls in der Schweiz.

„Zu Opapa hatte ich ein enges
Verhältnis, er hat mir oftmals Märchen vorgelesen. Der Inhalt hat mich gar nicht so interessiert, die Musik von Opapas Stimme war das Spannende für mich.“
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