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Ausgabe Nr. 23/2025 vom 03.06.2025, Fotos: actionpress, Instagram
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Die 16fache „Mutter“ beim Kochen mit „Baby“. Die Puppen sind Feinarbeit.
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Bei der gestaltung ihreres "Baby".
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„Laurie“ ist ihr Lieblingsbaby.
Britin über unerfüllten Kinderwunsch: „Baby-Puppen sind mein Kinderersatz“
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Die 29jährige Jess Ellis aus London (GB) leidet unter einer Hormonkrankheit, die es ihr nahezu unmöglich macht, eigene Kinder zu bekommen. Über diesen Umstand hinweg trösten sie sechzehn lebensechte Puppen, die Babys nachempfunden sind. Durch sie entwickelt Ellis mütterliche Hormone, die ihr gegen Depressionen und bei Panikattacken helfen.
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Laurie“ schlummert tief und fest. Die Fingerchen sind zu Fäusten geballt, im Gitterbett neben ihr liegt ihr Stoffhase. „Sie ist mein Lieblingskind, ich bin verrückt nach ihr“, sagt Jess Ellis aus dem Londoner (England) Stadtteil Plaistow und nimmt die Kleine auf den Arm. Sie rührt sich nicht, denn Laurie schläft immer. Sie ist eine „Reborn“-Puppe, eine lebensechte Puppe, die einem Säugling zum Verwechseln ähnlich sieht.

„Reborn“-Puppen sind handgefertigte Puppen, die ursprünglich zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wurden, um Mütter über den Verlust verstorbener Kinder hinweg zu helfen. Auch Menschen mit Demenz können diese Babys Studien zufolge dabei helfen, kommunikativer, ruhiger und fröhlicher zu werden.

Mittlerweile hat sich ein Trend daraus entwickelt, viele Menschen besitzen eine Puppe, weil sie „einfach süß aussieht.“ Besonders Jugendliche oder erwachsene Frauen wie Jess Ellis kümmern sich im Alltag leidenschaftlich um ihre Babys. „Dazu gehört auch Windelwechseln und mit dem Kinderwagen spazierenfahren.“

Pandemie war Auslöser für Puppen-Sammlung

Die 29jährige Britin besitzt insgesamt 16 Puppen. Neben „Laurie“ ist sie die „Mama“ von „Rebecca“, „Sam“, „June“, „Brooklyn“, „Manuela“, „Zain“, „Zury“, „Charlie“, „Pippa“, „Bunny“, „June“, „Lilly“, „Annaliese“, „Aria“ und „Cookie“.

Mit ihrer „Sammlung“ begonnen hat die 29jährige zu Pandemiezeiten vor fünf Jahren, als sie allein zu Hause war und sich einsam fühlte. „Ich habe bei meinen Puppen Trost gefunden. Mein Partner war durch die Arbeit viel unterwegs, ein Tier ging sich in der kleinen Wohnung nicht aus, da bin ich im Internet auf die Puppen aufmerksam geworden.“

Im Vorjahr wurde bei Ellis Autismus diagnostiziert, außerdem leidet die Frau unter Angststörungen, Panikattacken und Depressionen. „Es hilft mir, die Babys mit mir herumzutragen und ihr Gewicht auf meiner Brust zu spüren. Das beruhigt mich und gibt mir Sicherheit. Mein mentaler Gesundheitszustand hat sich seitdem wesentlich verbessert.“

Zusätzlich erschwert ihr die Krankheit PCOS (Polyzystisches Ovarialsyndrom), ihren Kinderwunsch zu erfüllen. PCOS beschreibt eine Hormonstörung, von der fünf bis zehn Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sind. Durch eine gestörte Reifung der Eizellen kommt es zu einem erschwerten Schwangerschaftseintritt, da keine regelmäßigen Eisprünge stattfinden. „Ich werde vielleicht nie Kinder bekommen.“

Ellis bleibt trotzdem optimistisch. „Bis dahin sind die Baby-Puppen mein Kinderersatz. Ich schütte genauso mütterliche Hormone aus. Sollte es so weit sein, bin ich vorbereitet.“ Ihr Mann Avery Raassen unterstützt sie bei ihrem Hobby und hilft ihr beim Wechseln der Windeln. Mehr als € 7.000,– hat das Paar bereits für seinen „Nachwuchs“ ausgegeben. Die Britin arbeitet hauptberuflich in der Personalabteilung eines großen Unternehmens, in ihrer Freizeit stellt sie seit nunmehr zwei Jahren selbst „Reborn“-Puppen her. Eine Baby-Puppe anzufertigen, dauert oft bis zu drei Wochen, denn die Produktion ist aufwendigste Feinarbeit.

Kopf und Gliedmaßen bestehen aus speziellen Bauteilen. Die Haare werden einzeln in den Vinyl- oder Silikonkopf gestochen, die Hautfarbe mittels Airbrush-Technik aufgesprüht und im Ofen getrocknet. Für die zarten Wimpern werden Alpakahaare verwendet.

Bis zu tausend Euro kostet eine lebensechte Puppe

Je aufwendiger die Anfertigung, desto teurer die Puppe. Ellis verkauft ihre „Babys“ um vierhundert bis tausend Euro, ein Modell wiegt ungefähr vier Kilo. Der Tag der Lieferung, wenn das Paket mit der Baby-Puppe bei einer Kundin ankommt, ist gleichzeitig der Geburtstag der Kleinen.

Über die sozialen Medien erfährt Ellis viel Unterstützung. Sie hat sich bereits eine Anhängerschar aufgebaut (300.000 Menschen folgen ihr auf TikTok, „Reborns of Jess“).

Die Mutter steht der außergewöhnlichen Leidenschaft der Tochter wohlwollend gegenüber, der Vater findet das Hobby „bizarr“, er sagt aber auch, wie stolz er sei, dass sie offen darüber spricht. Ihr öffentliches Auftreten hat allerdings auch zur Folge, dass sie im Internet Spott und Beleidigungen ausgesetzt ist. Verletzende Kommentare wie „Psychopathin“ oder „Geisteskranke“ bekommt sie fast täglich zugeschickt. Viele halten sie für dumm und weltfremd. Dabei hat Ellis Archäologie und antiken Geschichte an der Universität in Oxford (England) studiert.

„Ich war immer schon eine Außenseiterin, ich habe mich daran gewöhnt. Bereits in der Schule war es nicht einfach für mich. Ich hatte nicht viele Freunde und verbrachte die meiste Zeit mit Lesen. Offenbar haben mich die Menschen schon als Kind für verrückt gehalten, hat sich nichts geändert“, gibt Ellis unumwunden zu.

Sie wünscht sich mehr Akzeptanz von der Gesellschaft und, „dass Menschen nicht aufgrund ihrer Hobbys verurteilt werden“. Schuh
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