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Ausgabe Nr. 21/2025 vom 20.05.2025, Fotos: Passionsspiele Erl
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Christoph Esterl als Jesus
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Das imposante Passionsspielhaus in Erl.
Jesus in der Mittagspause
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Im kleinen Tiroler Erl wird Tradition großgeschrieben. Alle sechs Jahre finden dort Passionsspiele statt. Dabei wirkt ein Drittel der Dorfbevölkerung mit. Die Vorbereitungen dauern mehr als ein Jahr, in dem Christoph Esterls Bart und Haare immer länger werden.
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Er sieht nicht aus wie der seriöse Filialleiter einer Bankleitstelle. Der Anzug stimmt zwar, doch der dichte Bart und das schulterlange Haar, das Christoph Esterl lässig zurückgegelt inklusive Haarreif trägt, fallen ziemlich aus der Rolle. Seine Kunden sehen es ihm nach, weil sie wissen, warum das so ist. Der 37jährige übt derzeit eine Doppelrolle aus, er ist tagsüber Bankbeamter, abends Bühnendarsteller.

Esterl kommt aus der 1.500-Einwohner-Gemeinde Erl, wo alle sechs Jahre die traditionellen Passionsspiele stattfinden. Im Jahr 1613 erstmals urkundlich erwähnt, gelten sie als die ältesten kontinuierlich aufgeführten Passionsspiele im deutschsprachigen Raum. Ihr Ursprung geht auf ein Gelübde während der Pestzeit zurück: Die Dorfgemeinschaft versprach, regelmäßig das Leiden und die Auferstehung Jesu Christi aufzuführen, wenn sie von der Seuche verschont bliebe. Da dem so war, hielt sie Wort – bis heute. Der Aufwand ist enorm, 500 Menschen und damit ein Drittel der Bevölkerung nehmen aktiv an den Aufführungen teil, die von Ende Mai bis Anfang Oktober dauern. Da verwundert es auch nicht, dass Christophs Bruder Peter als Spielleiter im Einsatz ist.

Die Musik kommt vom Komponisten Christian Kolonovits

„Im Jahr 2019 hatten wir eine Wiederaufnahme, aber heuer ist alles neu“, erzählt er. „Vom Text über die Musik bis zur Inszenierung, den Kostümen und dem Bühnenbild.“ Auch prominente Namen tragen ihren Teil zu einem unvergesslichen Erlebnis bei. Die Musik kommt vom bekannten Komponisten Christian Kolonovits, Martin Leutgeb, bekannt aus der Serie „CopStories“ und dem „Tatort“, fungiert als Regisseur. Für die Auswahl seiner Mitwirkenden ist Peter Esterl gemeinsam mit einem Komitee zuständig. „Es ist Tradition, dass wir an jede Tür klopfen und fragen, wer mitmachen möchte. Dann setzen wir uns zusammen und entscheiden über die Rollenverteilung.“ Mitmachen dürfen freilich nur Erler.

Bruder Christoph wurde in diesem Jahr als Jesus und damit in der Hauptrolle besetzt. Er hat wie fast jeder im Dorf eine lange Passionsgeschichte hinter sich und begann schon als Kind, in den Massenszenen mitzuwirken. „Ich war sechs Jahre alt, als ich zum ersten Mal dabei war, und erinnere mich noch, wie ich mit der Oma über den Orchestergraben hinausgegangen bin. Mit zwölf habe ich schon alles viel bewusster wahrgenommen und sechs Jahre später durfte ich nach der Vorstellung schon ein Glaserl trinken. In Sechs-Jahres-Schritten macht jeder eine extreme Entwicklung durch.“

Vor sechs Jahren durfte der 37jährige schließlich als Reserve-Petrus fungieren und ist nun als Jesus im wahrsten Sinne ganz oben angekommen. Schließlich gibt es auch die Kreuzigungs-Szene.

Das hat allerdings seinen Preis. In fast jeder Mittagspause paukt er Text und nutzt auch seine Freizeit dazu. „Von der Menge her lässt es sich am besten so erklären: Wenn ich mit meinem Kleinen im Kinderwagen eine Runde spazieren gehe, bin ich rund 45 Minuten unterwegs, bis ich mit dem Text durch bin.“ Der Kleine, aufgrund seines Alters von einem Jahr ein dankbarer Zuhörer, heißt Matthäus, Thomas, der Große, ist vier Jahre alt.

Das erhärtet den Verdacht, die Jünger von Jesus hätten bei der Namensgebung eine Rolle gespielt. „Aber das ist Zufall und war nicht geplant.“ Jedenfalls wird sogar der Nachwuchs heuer erstmals Passionsluft schnuppern und so die Zukunft der Veranstaltung sichern, wie es einst auch bei Nicola Daxer, 50, der Fall war.

Die Leiterin einer Schule in Kufstein (T) hatte ihren ersten Auftritt 1979 als Vierjährige und war damals Teil der jubelnden Menge beim Einzug Jesu in Jerusalem. „Ich durfte sogar zu Jesus hingehen.“ Später war sie auch im Chor und wurde mehrmals als Maria Magdalena besetzt.

„Dieser Figur bin ich nun altersmäßig entwachsen und spiele heuer Herodia, die Frau von Herodes.“ In den Szenen mit ihm, Pilatus und dem Hohen Rat gab es bis dato keine sprechende Frau, aber der Zeitgeist macht auch vor Erl nicht Halt. „Es sind kurze Sätze und keine Monologe, aber die Rolle ist intensiv, weil mein Spielmann und ich auf der Bühne viel streiten.“

Modern sind die Erler auch, wenn es um das Einstudieren ihrer Rollen geht. Im Juli des Vorjahres lud Regisseur Martin Leutgeb die Hauptdarsteller zwei Tage zur Einkehr ins Kloster ein. Und da die acht bis zehn großen Rollen doppelt besetzt sind, war neben Christoph Esterl auch der zweite Jesus Stefan mit dabei. „Wir haben uns dort mit einem Pfarrer zusammengesetzt und die Person Jesus Christus durchleuchtet. Er hat uns gefragt, ob wir ,Die Auserwählten‘ auf ,Amazon Prime‘ kennen. Wir kannten die Serie beide nicht, haben uns dann aber draufgestürzt und wirklich davon profitiert.“

Die Serie erzählt das Leben Jesu aus der Perspektive der Menschen, die ihm begegnet sind. „Wir können uns ja sonst nur auf die Bibel verlassen. Es weiß ja niemand, wie Jesus gelebt hat.“ Der Überlieferung nach war der Hohepriester Kaiphas jedenfalls maßgeblich an der Verurteilung Jesu beteiligt und wird heuer ausgerechnet von Christophs Bruder Peter dargestellt.

Die Aufführung dauert dreieinhalb Stunden

Die Szenen, in denen Christoph Esterl, also Jesus, das schwere Kreuz schleppen muss, war im Winter noch erträglich, weil den Laiendarstellern im ungeheizten Passionsspielhaus jede Bewegung willkommen war. Während der 32 Aufführungen, die am 25. Mai beginnen und bis 4. Oktober dauern, wird das sicher an vielen Tagen anders sein. „Wir hatten schon jetzt Tage, an denen wir bei den Proben unter den Kostümen nichts mehr tragen konnten. Das Gebäude heizt sich relativ schnell auf.“

Nicht zuletzt wegen der 1.500 Sitzplätze in dem imposanten Haus.„Theoretisch gibt‘s für jeden Erler einen Sitz“, sagt Peter Esterl, der großen Wert darauflegt, Passionsspielhaus und Festspielhaus Erl nicht miteinander zu verwechseln. „Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“ Das Passionsspielhaus gehört dem Passionsspielverein Erl und das Festspielhaus der Tiroler Festspiele Erl Gemeinnützige Privatstiftung, hinter der der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner steht.

Wer dem Leiden von Christoph Esterl zusehen möchte,
muss ein bisserl Sitzfleisch mitbringen. Immerhin dauern die Aufführungen dreieinhalb Stunden, samt Pause.
Die Kartenpreise liegen zwischen € 41,– und € 53,–,
Karten gibt es unter
www.passionsspiele.at
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