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Ausgabe Nr. 05/2025 vom 28.01.2025, Foto: ZEPPELZAUER
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Christian Klar, 62, Mittelschul-Direktor in Wien
Christian Klar, 62, Mittelschul-Direktor in Wien: „Eine Sprache lernt man, wenn man sie lebt“
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Die Semesterferien stehen vor der Tür, doch in den Schulen brodelt es. Christian Klar ist seit Jahrzehnten Lehrer, seit 2012 Direktor einer „Brennpunkt“-Mittelschule in Wien und Buch-Autor („Was ist los in unseren Schulen?“). Der nebenberufliche ÖVP-Bezirkspolitiker zieht schonungslos Bilanz.
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Herr Klar, fast die Hälfte der Erstklässler in Wien kann nicht gut genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Die Mehrheit dieser Kinder ist hierzulande geboren. Ist unser Schulsystem am Zusammenbrechen?

Nein, man muss zuerst die Frage stellen, wie bereit sind die Menschen für Schule, für Integration. Alle Integrationsbemühungen sind umsonst, wenn diejenigen, für die sie gelten, und ihr Umfeld das gar nicht möchten. Die Entscheidung über eine erfolgreiche Bildungskarriere fällt nicht zwischen sechs und 14 Jahren, sie fällt zwischen null und sechs Jahren. Wenn jemand in Wien geboren ist und mit sechs oder sieben Jahren die Unterrichtssprache nicht beherrscht, dann sind die Voraussetzungen denkbar schlecht. Das kann in den meisten Fällen nicht mehr aufgeholt werden.

Was bedeutet das?

Ich bewundere jede Volksschullehrerin, jeden Volkschullehrer, aber es ist fast nicht mehr schaffbar. Bei uns in der Mittelstufe, aber auch im Gymnasium sinkt das Niveau ständig. Würden wir korrekt laut Lehrplan beurteilen, hätten wir nur noch Kinder, die durchfallen. Die Schüler können nach vier oder mehr Jahren Volksschule ausreichend Deutsch, um sich zu verständigen, auch wenn es zuhause nicht gesprochen wird. Zwar teils grammatikalisch falsch, doch ich kann mich mit allen Kindern ganz normal unterhalten.

Wir haben allerdings zu einem großen Teil das Problem, dass sie keine Zusammenhänge verstehen, nicht sinnerfassend lesen können, die Voraussetzungen für den Mathematik-, Physik- oder Geschichte-Unterricht nicht passen. Manche holen auf, schaffen zumindest die Aufnahme in weiterführende Schulen, aber ihre Startchancen waren schlecht.

Es wird ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr
gefordert, ebenso wie Sprachtests schon ab drei Jahren. Braucht es mehr Sanktionen, etwa geknüpft an die Familienbeihilfe?

Eine Sprachstands-Feststellung mit drei Jahren ist sinnvoll, ebenso wie erste Maßnahmen, wenn nicht ein bisschen Deutsch gesprochen werden kann. Das gilt auch für zwei Kindergarten-Jahre. Mein Vorschlag wäre, das letzte Kindergartenjahr in den Bildungsbereich zu ziehen. Damit wäre es in der Bundeskompetenz, es gäbe einen gemeinsamen Lehrplan und auch die Schulpflicht würde gelten. Das Kind muss anwesend sein, sonst zahlt man Strafe. Dort könnte natürlich schon massiv die Deutschförderung beginnen.

Gibt es diese Probleme nur in Wien oder auch in den
anderen Bundesländern?


Überall, wo Ballungszentren sind, wo Zuwanderung stattfindet. Ich bekomme aus ganz Österreich E-Mails oder Anrufe, in denen es heißt: „Danke, dass Sie sich zu Wort melden, bei uns ist es ähnlich oder noch schlimmer.“

Sie schreiben in Ihrem Buch „Nationalismus, Rassismus
und religiöser Fanatismus werden immer stärker“…


Wenn ich vor mehreren Jahren einen Streit zu schlichten hatte, egal, ob als Direktor oder Lehrer, dann ging es beispielsweise darum: „Ein Mitschüler hat mir den Bleistift weggenommen oder ihn abgebrochen.“ Jetzt geht es eigentlich immer darum: „Der hat meine Religion beleidigt, meine Familie, mein Land.“ Der Ausgangspunkt in neun von zehn Auseinandersetzungen ist die Nation, Religion, Familie. Wie tief verwurzelt das ist, kann man sehen, wenn Schüler oder Schülerinnen etwas malen dürfen, das frei wählbar ist. Dann malen sie oft die eigene Fahne und das eigene Land, Bezug zu Österreich gibt es keinen.

Sie fordern Deutsch auch in der Pause, warum?

Eine Sprache lernt man dann, wenn man sie lebt – nicht in fünf Stunden Unterricht, in denen die Schüler noch dazu zum Großteil passiv sind. Denn egal, wie offen der Unterricht gestaltet ist, bei 25 Schülern in der Klasse kommt ein Kind höchstens ein paar Minuten zum Reden.

Aber fehlen nicht die Sprachvorbilder in der Klasse, die
Muttersprachler weitgehend?


Das ist ein ganz großes Problem, aber trotzdem ist unsere Vereinbarung, dass es eine Frage der Höflichkeit ist, dort, wo nicht jeder meine Sprache versteht, Deutsch zu reden. Das ist unsere gemeinsame Sprache. In dem Moment, in dem ein Dritter dabei ist, der aus einem anderen Land kommt, muss Deutsch geredet werden. Sonst steht der andere daneben, versteht nichts und weiß nicht, ob nicht über ihn geredet wird. Die Grundregel funktioniert.

Ein Kopftuch-Verbot in der Schule bis 14 war in den Dreier-Koalitionsverhandlungen ein Thema und ist es wohl auch zwischen FPÖ und ÖVP. Was halten Sie davon?

Das Kopftuch ist ein Symbol für die Unterdrückung der Frau. Die Rolle der Frau in der islamischen Lehre ist eine unterdrückte und ich glaube nicht, dass wir das wollen. Ich hatte noch nie so viele Mädchen mit Kopftuch in der ersten Klasse Mittelschule wie jetzt. Das liegt einerseits daran, dass ich über den Familiennachzug ein paar Kinder bekommen habe, die jetzt in der Deutschförderklasse sitzen, aber es liegt auch daran, dass die Mädchen mit Kopftuch schon in der 3. und 4. Klasse Volksschule mehr werden, oder spätestens beginnen sie es in den Sommerferien während des Übergangs zu tragen. In den vergangenen Jahren oder Monaten geht es zudem immer mehr in Richtung Hijab und Abaya, dieses lange, relativ formlose Kleid, das am Boden streift.Und das Kopftuch ist ein Umhang, der bis über den Ellbogen geht.

Sie sprechen immer wieder auch die „überaltrigen“ Kinder an. Zwölf- oder sogar 14jährige, die in der ersten Klasse Mittelschule sitzen …

Auch das nimmt massiv zu. Das sind nicht nur die Kinder mit Sprachschwierigkeiten, sondern auch solche, die die 3. oder 4. Klasse Volksschule wiederholen müssen oder die Vorschule machen.

Welche Auswirkungen hat das auf den Unterricht, wenn Zehnjährige neben 12- oder 14jährigen sitzen?

Viele Kinder haben halt irgendwie Schuljahre verloren, sind aber eigentlich kooperativ, lieb und sozial. Dann ist es egal. Aber es gibt jene, die etwa ihre körperliche Überlegenheit ausnutzen, um zu erpressen, um der Anführer zu sein. Die sind meistens von ihrem fehlenden Schulerfolg massiv frustriert. Die interessiert die Schule nicht, die stören, sind mühsam und machen auch Klassen kaputt.

Meine Lösung ist, dass ich diejenigen, die „überaltrig“ sind und das Führen einer Klasse fast unmöglich machen, in einer Mehrstufenklasse zusammenfasse. Der Effekt ist zwar, dass drei Mal am Tag die Lehrer aus dieser Klasse zu mir kommen und sagen: „Ich halte das nicht mehr aus, ich kann nicht mehr.“ Aber in 16 anderen Klassen ist Ruhe eingekehrt. Wir müssen uns auf die konzentrieren, die etwas lernen wollen.

Wegen Gewalt in den Klassen wurde sogar schon Sicherheitspersonal in den Schulen gefordert …

Ich habe bei mir im Haus immer weniger Schwierigkeiten mit Gewalt, was nicht heißt, ich habe keine. Die Kinder wissen, wenn wir eine Schlägerei haben, dann sitzen wir beim Direktor, dann haben wir ein Problem, Konsequenz wirkt. Insgesamt ist die Hemmschwelle aber niedriger, es wird schneller hingehaut. Vor einiger Zeit hat mir die Lehrerin, die in der damaligen Deutschförderklasse unterrichtete, erzählt: „Die Afghanen haben gesagt, wir mögen den Herrn Direktor und wir respektieren seine Regeln, wir bringen jetzt keine Messer mehr in die Schule. Aber bevor wir in den Park gehen, müssen wir sie holen, sonst sind wir ungleich bewaffnet.“ Also: wir haben ein massives Problem.
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