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Ausgabe Nr. 41/2024 vom 08.10.2024, Fotos: Zeppelzauer     
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Eine Welle der Hilfsbereitschaft.
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Abdulhkeem Alshater, der Obmann des Vereines „Freie syrische Gemeinde Österreichs“ organisierte hunderte freiwillige syrische Helfer zum Schlammschaufeln.
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Familie Weiss.
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Syrische Helfer, die selbstlos mit dem Team Österreich aufräumen.
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Team Österreich.
Eine Welle der Hilfsbereitschaft
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Nach dem Jahrhunderthochwasser erleben die Betroffenen in Kritzendorf (NÖ) eine Welle der Solidarität. Doch während etwa syrische Flüchtlinge freiwillig kommen und den Schlamm wegschaufeln, tauchen auch Rumänenbanden auf, die versuchen, ein Geschäft aus der Not zu machen. Sie verlangen von den Flutopfern tausende Euro fürs Schlammschaufeln.
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Es ist ein kalter Herbstmorgen, einige Wochen nach dem verheerenden Hochwasser, das Mitte September in weiten Teilen Niederösterreichs für enorme Verwüstungen gesorgt hat. Auch in der Strombadsiedlung Kritzendorf, nahe bei Wien, bedeckt seither meterhoher Schlamm Gassen und Gärten, türmen sich gigantische Sperrmüllberge, wo normalerweise die Autos der Bewohner parken.

Menschen in Gummistiefeln stapfen durch die graue Masse. Eine ältere Frau steht vor ihrem Haus und hält Ausschau nach ihrer Sitzbank, die sie seit dem Hochwasser vermisst. „Dafür habe ich ein paar Blumentöpfe im Garten, die nicht mir gehören.“ Ein Garten, der im Moment eher einer Schlammwüste ähnelt. Kaum vorstellbar, dass hier noch vor wenigen Wochen spätsommerliche Blütenpracht geherrscht haben soll.

Ihr Nachbar, Dinko Fejzuli, kommt vorbei und bringt ein paar Helfer mit. Alleine sind die Aufräumarbeiten nicht zu bewältigen.
„Ich kümmere mich um insgesamt sechs ältere Damen, die hier niemanden haben“, erzählt der 52jährige, der selbst vom Hochwasser betroffen ist.
Nicht sein erstes. „Ich habe auch das im Jahr 2013 erlebt, da hatten wir noch eine Kabane“, erinnert er sich. Damals hatte er 75 Zentimeter hoch Wasser in der kleinen „Badehütte“.
Seit 2016 bewohnt der in Wien lebende Journalist über die Sommermonate eines der für die Strombadsiedlung typischen Stelzenhäuser.

Sie wollen Hilfe zurückgeben

„Wir wussten, dass das Hochwasser kommt, konnten aber nicht alles wegräumen. Wir haben es unterschätzt“, weiß er jetzt. Das Schlimmere sei aber ohnehin der Schlamm.

Den hat die Flut unbarmherzig über die rund 500 Parzellen der Strombadsiedlung gelegt. Und das Wegschaufeln der Schlamm-Massen ist kräfteraubend. Aber das Jahrhunderthochwasser hat auch eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst – von den Florianijüngern angefangen, die Menschen und Tiere aus der Gefahrenzone brachten, über die verschiedenen Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz, Team Österreich oder Caritas, die vor Ort unterstützen.

„Wir bringen hier Freiwillige zusammen, versorgen sie mit Essen und Trinken und teilen die Helfer ein“, erzählt etwa Kerstin Schultes, sie ist die Leiterin des Freiwilligen Engagements der Caritas Wien.

Hilfe kam auch vom Verein „Freie syrische Gemeinde Österreichs“. Allein am letzten Sonntag im September kamen 350 Austro-Syrer, die bei der Beseitigung der Hochwasserschäden helfen wollten.

„Das Land hat viele von uns 2015 mit offenen Armen aufgenommen, jetzt wollen wir helfen“, sagt Abdulhkeem
Alshater, der Vorsitzende des Vereins, über das freiwillige Engagement der syrischen Flüchtlinge.

Nur zu gut wissen seine Landsleute, „wie es ist, alles zu verlieren“. Auch er selbst kam vor neun Jahren in unser Land, hat hier erfolgreich eine Lehre zum Maler gemacht und arbeitet heute für die Stadt Wien. Es sei ihm wichtig zu betonen, „dass wir keine Verbrecher oder Messerstecher sind. Unsere Gemeinschaft spricht sich offen gegen das Assad-Regime, gegen Islamismus und Extremismus aus.“

Für die Bewohner der Strombadsiedlung sind die syrischen Helfer ein Segen. „Sie wollen kein Geld, bringen sich sogar ihr eigenes Essen mit“, sagt Dinko Fejzuly. Doch nicht alle seien so selbstlos wie die Austro-Syrer.

Gemeinde warnt vor Betrug

„Meiner Nachbarin wurde eine Räumung der Schlamm-Massen um € 5.000,– angeboten. Da sind Truppen unterwegs, die glauben, sie können hier Geld abstauben und das Elend der Menschen ausnützen“, ärgert sich der Strombadbewohner. Auch auf der Internetseite der Gemeinde Klosterneuburg wird ausdrücklich vor Betrügern gewarnt. „Uns haben Meldungen erreicht, dass angebliche Firmen scheinbar in den Badesiedlungen unterwegs sind und für unseriös hohe Geldbeträge Hilfe bei den Aufräumarbeiten anbieten.“

Das kann auch Familie Weiss, die ein paar Gärten weiter wohnt, bestätigen. „Wir hatten plötzlich vier Rumänen mit Schaufeln in der Hand am Grundstück stehen. Die Schubkarren wollten sie von uns“, erzählt Reinhold Weiss. Und 4.000 Euro fürs Räumen. „Ein Nachbar soll sogar 14.000 Euro dafür bezahlt haben, erzählten uns die Männer. Also wäre das Angebot eh noch günstig“, erinnert sich Weiss an die aufdringlichen Gestalten. Jetzt hat sich die Familie gemeinsam mit zwei anderen Nachbarn einen kleinen Bagger gemietet und räumt zum Großteil selbst.

„Das ist für mich neu, ich bin vorher noch nie Bagger gefahren“, meint der 60jährige. „Wenn du die Depression überwunden hast, musst du ins Handeln kommen“, weiß er noch aus der Erfahrung des Hochwassers von 2013. Danach hatten viele ihre Häuser verkauft, das komme aber für ihn nicht in Frage.

Ebenso wenig würde Renate Gutsch die Strombadsiedlung verlassen wollen. „Ich liebe das so und will hier nicht weg, selbst wenn noch fünf Mal ein Hochwasser kommt“, sagt die Sopranistin im Chor der Wiener Staatsoper. Die aufdringlichen Rumänen standen auch vor ihrer Gartentür.

„Ich sagte, ,nein danke‘ und bedeutete ihnen weiterzugehen. Wenn die mir in der Siedlung begegnen, schaue ich stur vor mich hin“, sagt Gutsch, vor deren Haus gerade ein paar syrische Helfer Schlamm wegschaufeln. Einer reicht ihr selbstgebackenen Kuchen. Sie nimmt ihn dankend an.

„Eigentlich müsste ich euch etwas anbieten. Ihr seid großartig“, sagt sie überwältigt von der Unterstützung der Syrer. Und von dem Für- und Miteinander all der freiwillgen Helfer im Strombad. rz
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