„Jeder soll sein, wie er möchte“
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Der in der Steiermark aufgewachsene Robert Stadlober, 42, hat sich als Schauspieler längst einen Namen gemacht. In der Musik ist er ebenso verhaftet.
Auf seinem neuen Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ hat er Gedichte von Kurt Tucholsky vertont und dabei den oft schweren Texten ein luftiges Indie-Folk-Gewand verpasst.
Auf seinem neuen Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ hat er Gedichte von Kurt Tucholsky vertont und dabei den oft schweren Texten ein luftiges Indie-Folk-Gewand verpasst.
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Herr Stadlober, wann haben Sie begonnen, sich für das Werk des deutschen Schriftstellers Kurt Tucholsky (1890 bis 1935) zu begeistern?
Ziemlich früh, so in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Ich bin in Berlin (D) auf die Waldorfschule gegangen, dort sind die Kinder jemandem wie Tucholsky generell näher als auf anderen Schulen.
Sie haben schon als Jugendlicher erfolgreich als Schauspieler gearbeitet. War die Waldorfschule ideal, um sich und Ihre Leidenschaften entdecken und ausleben zu können?
Ich hatte keine großen Vergleichsmöglichkeiten, aber ich denke, die Beschäftigung mit Text und Sprache ist eine der großen Säulen der Waldorfpädagogik. Dort wird ab dem ersten Tag mit rhythmischem Sprechen in der Gruppe begonnen, ich habe Gedichte gelernt und ich habe ebenso gelernt, auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Ich habe keine klassische Schauspielausbildung und auch kein anderes Studium in einem künstlerischen Fach absolviert. Ich rechne meiner Schule hoch an, dass sie mir Textverständnis und ein Gefühl für Stimmungen und Rhythmen mitgegeben hat.
Und wo sind Sie als Teenager politisch gestanden?
Zu der Zeit war Antifa (Anm. d. Red.: Seit etwa 1980 werden Gruppen und Organisationen als Antifa bezeichnet, die nach eigenem Selbstverständnis Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus und völkischen Nationalismus aktiv bekämpfen) noch nicht das Schimpfwort, zu dem es heute seltsamerweise geworden ist. Einige meiner Verwandten waren in der Antifa und haben in den Dreißiger- und Vierzigerjahren für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gearbeitet. Auch die SPD war damals Antifa. Sich dort zu engagieren, gehörte zu meiner politischen Bildung dazu und war in meinen Kreisen vollkommen normal.
Wie weit sind Sie dabei gegangen?
Ich war kein Kämpfer, dafür hat meine körperliche Konstitution schon damals nicht ausgereicht. Ich war eher beim Widerstand, bei Demonstrationen und Sitzblockaden dabei. Und ich liebte es, auf Punkkonzerte zu gehen und Bier zu trinken, da kam ich natürlich auch mit alternativen Sichtweisen auf die Welt in Kontakt.
Heute auch noch?
Bier trinken und Punk hören mache ich immer noch gerne, aber nicht so oft wie früher. Der Ernst des Lebens ist dazwischengekommen. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Volksschulalter.
Hat sich auch Ihre politische Haltung gewandelt?
Der Wunsch nach einer solidarischeren Welt, nach einer Welt, in der alle nach ihren Möglichkeiten und Träumen versuchen können zu leben, der ist bei mir unverändert. Dieser Wunsch wird oft als links gelesen. Dabei ist das eigentlich Humanismus. Ich bin ein humanistischer Antifaschist (lacht).
Welche politischen Werte vermitteln Sie Ihren Kindern?
Dass sie lernen, gemeinsam in einer Gruppe zurechtzukommen. Dass sie ihre eigenen Ansichten vermitteln, aber auch den Meinungen anderer zuhören. Und, wenn jemand geschlagen wird: dazwischengehen.
Oft hochpolitisch sind auch die Texte Kurt Tucholskys, die vor rund hundert Jahren, während der Zeit der Weimarer Republik, entstanden sind. Was gab den Ausschlag für dieses Album?
Das war eher Zufall. Die Veranstalter eines Kunstfestivals in Stuttgart (D) traten mit der Bitte an mich heran, einen Abend mit Tucholsky zu gestalten. Ich war erst nur mittelmäßig begeistert, nahm aber meine Tucholsky-Gesamtausgabe zur Hand und war selbst überrascht, dass in ziemlich kurzer Zeit sechzehn Lieder entstanden. Ich habe mir für Tucholsky sogar eine neue Gitarre gekauft, eine Airline Folkstar, das ist ein Nachbau einer klassische Dobro-Gitarre aus den Sechzigern, sie klingt warm und folkig und hat einen leichten Country-Einschlag.
„Dann gab es Krieg und hohe Butterpreise“, heißt es im Lied „Die blonde Frau singt“. Das ist erschreckend aktuell …
Das lässt sich eins zu eins auf unsere heutige Situation übertragen. Im vergangenen Sommer und Herbst sind viele meiner pazifistischen Gewissheiten auseinandergebrochen. Bei Tucholsky habe ich Bestärkung, Trost und eine Form von Halt und Sicherheit gefunden.
Wie das?
Die Zersplitterung der Welt da draußen wurde mir durch hundert Jahre alte Texte neu erklärt. Das Erschreckende und auch Bestärkende dabei ist, dass sich gar nicht so viel verändert hat. Die Verwerfungen der Wirklichkeit sind für jede Generation scheinbar ähnlich. Wenn wir also möchten, dass es eine bunte, diverse und demokratische Gesellschaft gibt, dann müssen wir uns diese jeden Tag neu erkämpfen.
Was können wir von Kurt Tucholsky lernen?
Was ihn momentan für mich so wichtig macht, war sein Pochen auf den Individualismus, bei gleichzeitigem Beharren auf einer solidarischen Gesellschaft. Er hat Unterschiede anerkannt und sich mit nichts gemein gemacht. Er war so ziemlich in jeder Partei links der Mitte, ist aber überall schnell wieder raus, weil ihm die Heilsversprechen der Politik suspekt waren. Und obwohl er ein Lebemann war, sind ihm die Bedürfnisse und Interessen der unteren Klassen nicht egal gewesen. Es war ihm ein Anliegen, dass alle ein gutes Leben führen, nicht nur die Reichen und Privilegierten. Und er war tolerant.
Fehlt es Ihnen heutzutage an Toleranz?
Tatsächlich dreht sich heute gerade in progressiven Kreisen viel um die eigenen Befindlichkeiten, um so ein „Du hältst den Mund, weil nur ich weiß, was richtig ist.“ So dachte Tucholsky explizit nicht. Er ließ jeden sein, wie er möchte. So eine Einstellung fände ich auch in heutigen Zeiten oft hilfreich.
Als Sie im Jahr 2000 mit dem Film „Crazy“ bekannt wurden, waren Sie 18. Seitdem sind Sie als Schauspieler, Musiker und Schriftsteller gut im Geschäft, ohne dabei abgehoben zu wirken. Was erdet Sie?
Ich komme aus einem Dorf in der Steiermark. Nach der Trennung meiner Eltern bin ich mit meiner Mutter und meiner Schwester nach Berlin gezogen. Ich hatte Glück, aber ich habe in der Karriere nichts geschenkt bekommen.
Sie haben lange in Berlin gelebt. Seit wann sind Sie wieder in Wien?
Ich hatte immer einen Koffer in Wien. Jetzt lebe ich mit meiner Familie seit ungefähr fünf Jahren fest dort. Ich mag das langsamere Tempo.
Zur Person
Robert Stadlober wurde am 3. August 1982 im kärntnerischen Friesach geboren, verbrachte einige Zeit in der Steiermark und zog dann mit seiner Mutter und der Schwester in die deutsche Hauptstadt Berlin.
Ohne zusätzliche Schauspielausbildung gehört er zu den besten Darstellern im deutschsprachigen Raum. In seinem aktuellen Kinofilm „Führer und Verführer“ verkörpert er Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels.
Stadlober lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Wien. Sein aktuelles Musik-Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“, ist bereits im Handel erhältlich.
Ziemlich früh, so in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Ich bin in Berlin (D) auf die Waldorfschule gegangen, dort sind die Kinder jemandem wie Tucholsky generell näher als auf anderen Schulen.
Sie haben schon als Jugendlicher erfolgreich als Schauspieler gearbeitet. War die Waldorfschule ideal, um sich und Ihre Leidenschaften entdecken und ausleben zu können?
Ich hatte keine großen Vergleichsmöglichkeiten, aber ich denke, die Beschäftigung mit Text und Sprache ist eine der großen Säulen der Waldorfpädagogik. Dort wird ab dem ersten Tag mit rhythmischem Sprechen in der Gruppe begonnen, ich habe Gedichte gelernt und ich habe ebenso gelernt, auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Ich habe keine klassische Schauspielausbildung und auch kein anderes Studium in einem künstlerischen Fach absolviert. Ich rechne meiner Schule hoch an, dass sie mir Textverständnis und ein Gefühl für Stimmungen und Rhythmen mitgegeben hat.
Und wo sind Sie als Teenager politisch gestanden?
Zu der Zeit war Antifa (Anm. d. Red.: Seit etwa 1980 werden Gruppen und Organisationen als Antifa bezeichnet, die nach eigenem Selbstverständnis Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus und völkischen Nationalismus aktiv bekämpfen) noch nicht das Schimpfwort, zu dem es heute seltsamerweise geworden ist. Einige meiner Verwandten waren in der Antifa und haben in den Dreißiger- und Vierzigerjahren für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gearbeitet. Auch die SPD war damals Antifa. Sich dort zu engagieren, gehörte zu meiner politischen Bildung dazu und war in meinen Kreisen vollkommen normal.
Wie weit sind Sie dabei gegangen?
Ich war kein Kämpfer, dafür hat meine körperliche Konstitution schon damals nicht ausgereicht. Ich war eher beim Widerstand, bei Demonstrationen und Sitzblockaden dabei. Und ich liebte es, auf Punkkonzerte zu gehen und Bier zu trinken, da kam ich natürlich auch mit alternativen Sichtweisen auf die Welt in Kontakt.
Heute auch noch?
Bier trinken und Punk hören mache ich immer noch gerne, aber nicht so oft wie früher. Der Ernst des Lebens ist dazwischengekommen. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Volksschulalter.
Hat sich auch Ihre politische Haltung gewandelt?
Der Wunsch nach einer solidarischeren Welt, nach einer Welt, in der alle nach ihren Möglichkeiten und Träumen versuchen können zu leben, der ist bei mir unverändert. Dieser Wunsch wird oft als links gelesen. Dabei ist das eigentlich Humanismus. Ich bin ein humanistischer Antifaschist (lacht).
Welche politischen Werte vermitteln Sie Ihren Kindern?
Dass sie lernen, gemeinsam in einer Gruppe zurechtzukommen. Dass sie ihre eigenen Ansichten vermitteln, aber auch den Meinungen anderer zuhören. Und, wenn jemand geschlagen wird: dazwischengehen.
Oft hochpolitisch sind auch die Texte Kurt Tucholskys, die vor rund hundert Jahren, während der Zeit der Weimarer Republik, entstanden sind. Was gab den Ausschlag für dieses Album?
Das war eher Zufall. Die Veranstalter eines Kunstfestivals in Stuttgart (D) traten mit der Bitte an mich heran, einen Abend mit Tucholsky zu gestalten. Ich war erst nur mittelmäßig begeistert, nahm aber meine Tucholsky-Gesamtausgabe zur Hand und war selbst überrascht, dass in ziemlich kurzer Zeit sechzehn Lieder entstanden. Ich habe mir für Tucholsky sogar eine neue Gitarre gekauft, eine Airline Folkstar, das ist ein Nachbau einer klassische Dobro-Gitarre aus den Sechzigern, sie klingt warm und folkig und hat einen leichten Country-Einschlag.
„Dann gab es Krieg und hohe Butterpreise“, heißt es im Lied „Die blonde Frau singt“. Das ist erschreckend aktuell …
Das lässt sich eins zu eins auf unsere heutige Situation übertragen. Im vergangenen Sommer und Herbst sind viele meiner pazifistischen Gewissheiten auseinandergebrochen. Bei Tucholsky habe ich Bestärkung, Trost und eine Form von Halt und Sicherheit gefunden.
Wie das?
Die Zersplitterung der Welt da draußen wurde mir durch hundert Jahre alte Texte neu erklärt. Das Erschreckende und auch Bestärkende dabei ist, dass sich gar nicht so viel verändert hat. Die Verwerfungen der Wirklichkeit sind für jede Generation scheinbar ähnlich. Wenn wir also möchten, dass es eine bunte, diverse und demokratische Gesellschaft gibt, dann müssen wir uns diese jeden Tag neu erkämpfen.
Was können wir von Kurt Tucholsky lernen?
Was ihn momentan für mich so wichtig macht, war sein Pochen auf den Individualismus, bei gleichzeitigem Beharren auf einer solidarischen Gesellschaft. Er hat Unterschiede anerkannt und sich mit nichts gemein gemacht. Er war so ziemlich in jeder Partei links der Mitte, ist aber überall schnell wieder raus, weil ihm die Heilsversprechen der Politik suspekt waren. Und obwohl er ein Lebemann war, sind ihm die Bedürfnisse und Interessen der unteren Klassen nicht egal gewesen. Es war ihm ein Anliegen, dass alle ein gutes Leben führen, nicht nur die Reichen und Privilegierten. Und er war tolerant.
Fehlt es Ihnen heutzutage an Toleranz?
Tatsächlich dreht sich heute gerade in progressiven Kreisen viel um die eigenen Befindlichkeiten, um so ein „Du hältst den Mund, weil nur ich weiß, was richtig ist.“ So dachte Tucholsky explizit nicht. Er ließ jeden sein, wie er möchte. So eine Einstellung fände ich auch in heutigen Zeiten oft hilfreich.
Als Sie im Jahr 2000 mit dem Film „Crazy“ bekannt wurden, waren Sie 18. Seitdem sind Sie als Schauspieler, Musiker und Schriftsteller gut im Geschäft, ohne dabei abgehoben zu wirken. Was erdet Sie?
Ich komme aus einem Dorf in der Steiermark. Nach der Trennung meiner Eltern bin ich mit meiner Mutter und meiner Schwester nach Berlin gezogen. Ich hatte Glück, aber ich habe in der Karriere nichts geschenkt bekommen.
Sie haben lange in Berlin gelebt. Seit wann sind Sie wieder in Wien?
Ich hatte immer einen Koffer in Wien. Jetzt lebe ich mit meiner Familie seit ungefähr fünf Jahren fest dort. Ich mag das langsamere Tempo.
Zur Person
Robert Stadlober wurde am 3. August 1982 im kärntnerischen Friesach geboren, verbrachte einige Zeit in der Steiermark und zog dann mit seiner Mutter und der Schwester in die deutsche Hauptstadt Berlin.
Ohne zusätzliche Schauspielausbildung gehört er zu den besten Darstellern im deutschsprachigen Raum. In seinem aktuellen Kinofilm „Führer und Verführer“ verkörpert er Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels.
Stadlober lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Wien. Sein aktuelles Musik-Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“, ist bereits im Handel erhältlich.
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