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Ausgabe Nr. 35/2024 vom 27.08.2024, Fotos: zVg
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Die Stärke von „Jumpy“ ist seine Gelassenheit.
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Eine Begegnung, die Mensch und Tier gleichermaßen Freude macht.
Hallo, Professor „Jumpy“
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Sie bringen unsere Augen zum Strahlen und zaubern uns ein Lächeln ins Gesicht. Tiere haben nachweislich positive Effekte auf uns Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie vier, sechs oder gar keine Beine haben. Der Besuch im Seniorenheim macht es deutlich.
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Ein letztes Mal mit dem Striegel über das weiße Fell geputzt, schnell noch die Hufschuhe angezogen und schon geht‘s los. „Jolly Jumper“ kennt den Weg. Zielstrebig stolziert er auf den Eingang zu. Heute ist der Wallach die Attraktion in der Seniorenresidenz Schloss Kahlsperg in Oberalm (Salzburg) und er wird schon freudig erwartet.

„Jumpy“, so sein Spitzname, ist ein 18jähriges Shetlandpony und ausgebildetes Therapiepferd. Immer an seiner Seite zu finden ist seine Trainerin Selina Scheichl, 25. „,Jumpy‘ ist klein, aber oho. Wir nennen ihn liebevoll den Professor.“

Sobald das Pony den Veranstaltungsraum betritt, geht ein Raunen durch die Menge der Senioren. Alle wollen mit dem tierischen Besucher Zeit verbringen. „Schon Tage davor werden Plakate aufgehängt, er ist ein Programm-Höhepunkt. Die Menschen bereiten sich vor und ziehen sich schick an“, erzählt Kerstin Tautz, die Leiterin der Seniorenresidenz. Denn „Jumpy“ bringt Abwechslung in den Alltag des Wohnheimes. „Die meisten sind überrascht, dass ein Pony überhaupt ins Gebäude kommt. Es ist keine alltägliche Situation“, weiß Tautz.

Der Besuch des Schimmelponys löst unterschiedliche
Reaktionen bei den Bewohnern aus. „Wir kennen uns ja schon lange, ,Jumpy‘ und ich sind alte Freunde“, freut sich etwa eine Dame am Stammtisch der „Strickliesln“, die für das Pony die Stricknadeln zur Seite gelegt hat. „So ein G‘scheiter“ sei er, und „so fesch frisiert, mit so einem
schönen Zopferl“, sagt sie, während sie ihren Kopf in der Mähne vergräbt.

Am nächsten Tisch wird „Jumpy“ der Schweif frisiert. Der Vierbeiner genießt die Zuwendung der Menschen genauso wie sie seine. „Mit einigen Bewohnern spielt er sogar Fußball und motiviert sie zur Bewegung. Das macht mehr Spaß als jede Physiotherapie.

Viele trauen sich sogar ohne Rollator neben ihm herzugehen, weil sie sich an ihm festhalten können. Er vermittelt Sicherheit“, berichtet Scheichl von ihren Erfahrungen. „Ein ehemaliger Profireiter, der nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen konnte, hatte Tränen in den Augen, als er ihn sah. Eine 80jährige Dame hingegen hat sich darüber gefreut, im hohen Alter zum allerersten Mal überhaupt ein Pferd berühren zu können.“

Auch längst verlorengeglaubte Erinnerungen bringt „Jolly Jumper“ bei so manchem Bewohner zurück. „Viele erzählen mir von früher, wie sie als Kinder am Bauernhof geritten sind.“ „Jolly Jumper“ weiß genau, was sein Gegenüber gerade braucht. „Wenn Personen quirlig sind, wird er energiegeladen und zum ,Showman‘. Wenn Personen schwächer sind, wird er ruhiger. Dann legt er den Kopf in ihren Schoß und lässt den Kasperl sein.“

Die Wirkung von „Jumpys“ Besuchen zeigt sich innerhalb von Sekunden bei jedem einzelnen der Senioren. Er zaubert ihnen allen ein Lächeln ins Gesicht. „Pferde haben eine Eisbrecherfunktion, Brücken werden geschlagen“, nennt die Tiertrainerin die herausragende Eigenschaft ihres Schützlings. „Wenn ,Jumpy‘ die Hände der Menschen abschleckt oder sie das weiche Fell kraulen, fördert das die motorischen und sensorischen Reize. Stress wird reduziert. Menschen passen ihre Atmung unbewusst an die des Pferdes an. Pferde atmen langsamer als wir. So entspannen wir in der Sekunde.“

Für Heimbewohner, die nicht mehr mobil sind, trottet das weiße Pferd sogar in den Aufzug und kommt zu Besuch ins Zimmer. Allerdings gerät der Lift dabei an seine Grenzen. „Obwohl mein ,Jolly Jumper‘ nur etwas mehr als einen Meter groß ist, bringt er 220 Kilo auf die Waage. Viel mehr kann der Lift auch nicht tragen“, meint die 25jährige mit einem Lächeln. Doch die Fahrt in die oberen Stockwerke macht sich bezahlt. Bettlägrigen Bewohnern beschert „Jumpy“ jedes Mal aufs Neue Glücksmomente. Einige beginnen zu singen und füttern das Pony mit Karotten. Da fragt dann niemand mehr nach dem Hund, den die Heimleitung eigentlich für solche Zwecke engagieren wollte. Das Pony geriet zur Freude aller.

Wobei nicht jedes Pferd für therapeutische Zwecke geeignet ist, erklärt Scheichl, die an der Universität Salzburg Psychologie studiert und eine Ausbildung zur pferdegestützten Trainerin absolviert hat. Es bedarf schon der Eigenschaften ihres „Jumpys“ für den Umgang mit Menschen. „Er ist gelassen und mutig, gleichzeitig neugierig und wissbegierig. In unbekannten Situationen bleibt er ruhig und kopfklar. Er freut sich jedes Mal über diese Abwechslung und auf neue Aufgaben.“

Die 25jährige arbeitet seit der Pandemiezeit mit ihrem vierbeinigen Liebling. „Er hat mir während Corona gutgetan und ich wollte, dass andere Menschen genauso von ihm profitieren. Anfangs hat sie Pflegeheime ehrenamtlich besucht, mittlerweile ist Scheichl mit ihrem Unternehmen „Pferde Stärken“ selbstständig.

Wobei nicht nur Pferde als Therapeuten eingesetzt werden, wie Scheichls Kollegin Heidi Urani, 45, aus Obdach in der Steiermark mit ihrem Verein „Zeit mit Tier“ unter Beweis stellt. Neben Schweinen, Eseln und Hunden kommt auch die afrikanische Achatschnecke „Anna-Leon“ zu ihrem glitschigen Auftritt in Schulen, Kindergärten und Altersheimen. Fixer Bestandteil bei ihren Auftritten sind außerdem „Sophie“ und „Gitti“, zwei Madagaskar-Fauchschaben sowie Stabschrecken und ein Tausendfüßler.

„Insekten sind Beobachtungstiere“, erklärt die 45jährige Steirerin. „Sie haben genauso eine therapeutische Eignung. Der Aha-Effekt ist umso größer, wenn ich den Mut aufbringe, so ein Tier anzufassen. Die Menschen lernen, Grenzen zu überschreiten und wachsen über sich hinaus. Die Aufmerksamkeit wird auf das Tier gelenkt und motorische Fähigkeiten werden gefördert wie beim Putzen des Schneckenhauses mit der Zahnbürste. Kinder, die nicht stillsitzen können, bleiben ruhig und konzentriert. Sonst kommt die Schnecke erst gar nicht aus ihrem Haus.“
Daniela Schuh
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