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Ausgabe Nr. 32/2024 vom 06.08.2024, Fotos: christindives.jimdofree.com
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Luft holen und hinab in die Tiefe.
Christin Gerstorfer: „Die Freiheit in der Tiefe ist grenzenlos“
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Christin Gerstorfer, 25, aus Baden bei Wien hat das Zeug, die beste Freitaucherin der Welt zu werden. Auf den Philippinen hat sie zuletzt vier nationale Rekorde geknackt und im Weltcup die Silber-Medaille gewonnen. Das ist aber erst der Anfang.
Ein Gespräch mit Tiefgang, geführt hat es die WOCHE-Reporterin Barbara Reiter.
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Frau Gerstorfer, wie lange können Sie die Luft anhalten?

Mittlerweile fünfeinhalb Minuten, was für mich viele positive Aspekte hat. Einer davon ist, dass ich mental extrem stark bin. Bei Prüfungen in der Schule oder an der Universität habe ich mir früher manchmal Sorgen gemacht. Jetzt denke ich mir, hey, ich kann 65 Meter tief tauchen. Da mache ich mir doch nicht wegen Kleinigkeiten Gedanken. Dazu kommt ein besserer Stoffwechsel, eine bessere Atmung, mehr rote Blutkörperchen und der Lebensstil ist generell gesünder.

Wie alt waren Sie bei Ihren ersten Schwimmversuchen?

Angefangen habe ich mit zweieinhalb Jahren. Ich war schon immer ein Wasserkind und meine Mama hat mich nie aus dem Wasser gebracht. Ich war immer mehr unter als über dem Wasser. Dabei war Luftanhalten für mich von Anfang an ganz wichtig und im Fernsehen habe ich Meerjungfrauen-Serien geliebt. Das hat mich später auf die Idee gebracht, irgendwann auch einmal eine zu werden.

Mit 25 Jahren sind Sie heute die beste Freitaucherin unseres Landes. Sie gehen ohne Sauerstoffgerät in die Tiefe. Wie kam es dazu?

Zu meinem zwölften Geburtstag hat mir meine Mama
eine Monofin (Anm.: einzelne Flosse) geschenkt. Damals und auch in den Jahren danach wusste ich eigentlich nichts übers Tauchen oder den Druckausgleich. Das habe ich mir alles selbst beigebracht und konnte schließlich mit zwölf Jahren fünfzehn Meter tief tauchen. Vier Jahre später habe ich im Urlaub mit meinen Eltern eine Freitauchschule entdeckt. Nach drei Tagen konnte ich 30 Meter tief tauchen, was selten ist. Die meisten schaffen nach dieser Zeit fünf bis zehn Meter. Der Betreiber, ein Weltrekordhalter, meinte, er würde Potenzial in mir sehen. So hat alles begonnen.

Was macht Spaß daran, minutenlang die Luft anzuhalten?

Ich komme aus dem Leistungssport und habe im Schwimmen, Tennis und Reiten Wettkämpfe bestritten. Freitauchen wollte ich nur zur Entspannung. Unter Wasser ist der einzige Ort, wo niemand sagen kann, „Mach‘ das oder das!“ Wir sind auch nicht abgelenkt von irgendwelchen Medien oder Geräuschen, sondern müssen uns auf uns selbst konzentrieren. Das ist einfach unglaublich behaglich und sicher. Die Freiheit dort unten in der Tiefe ist grenzenlos und ich kann komplett abschalten.

Warum haben Sie dann doch das Freitauchen als Wettkampf-Sport gewählt?

Ich dachte zuerst auch, das könnte mein positives Gefühl kaputtmachen. Aber dann habe ich Eugen Göttling kennengelernt (Anm.: einer der besten heimischen Freitaucher) und nachdem auch er meinte, ich könnte locker einen Nationalrekord aufstellen und da ich ehrgeizig bin, habe ich es einfach versucht.

Sie haben den heimischen Rekord von 38 Metern ohne Flossen mittlerweile mit 74 Metern deutlich übertroffen und vor Kurzem bei einem Weltcup-Bewerb auf den Philippinen Silber gewonnen und gleich vier Nationalrekorde geknackt. Wie läuft so ein Wettkampf ab?

Es gibt einen Wettkampfbereich für den Athleten, die Sicherheitstaucher, den Wettkampf-Richter und einen Fotografen. Eine Leine reicht bis zu der Tiefe hinunter, für die sich der Sportler am Vortag in einer geheimen Wahl entschieden hat. Vor dem Wettbewerb mache ich an einer Boje ein paar Aufwärm-Tauchgänge. Dann liege ich mit dem Gesicht nach unten mit einem Schnorchel im Wasser. Ich liebe es, das Wasser im Gesicht zu spüren. Dann verlangsame ich meinen Atem und stelle mir den Tauchgang bis ins kleinste Detail vor. Das Gehirn unterscheidet nicht, ob jemand eine Tätigkeit wirklich oder nur in Gedanken ausführt. Zehn Sekunden vor dem Abtauchen nehme ich die letzten tiefen Atemzüge und dann geht es los.

Was erleben Sie dann?

Auf den Philippinen ist das Meer wunderschön und auch in 60 Metern Tiefe noch hell und warm. An der Wasseroberfläche hat das Meer 30 Grad, unten nur zwei,
drei Grad weniger. Am Anfang ist alles schön hellblau, ich fühle das Wasser im Gesicht und bin total entspannt. Ich spüre die Geschwindigkeit und erreiche schon bald eine gewisse Tiefe, die mir eine Uhr signalisiert. So weiß ich, dass ich nach 15 Metern die Luft aus der Lunge für den Druckausgleich raufholen und oben halten muss. Nach 30, 40 Metern wird es ein bisschen dunkler und ich kann mich fallenlassen, anstatt zu schwimmen. Dabei habe ich die Augen immer geschlossen. Das Einzige, worauf ich mich konzentriere, ist die Entspannung im Körper durch den Druckausgleich. Auf Wettkampftiefe angekommen, reiße ich als Beweis ein Bändchen ab. Hinauf schwimme ich relativ flott, sehe auf 25 Metern den ersten Sicherheitstaucher und einen zweiten bei zehn Metern, der mich hinaufbegleitet. Oben muss ich meine Nasenklammer entfernen und das Okay-Zeichen geben. Der Wettkampfrichter überprüft dann, ob ich klar und bei Bewusstsein bin.

Haben Sie keine Angst zu verunglücken oder vor Haien?

Nein, wir kriegen an den freien Körperstellen vielleicht ein paar Quallenstiche ab, Haie gibt es nur an bestimmten Tauchplätzen. Ich liebe es, mit Haien zu tauchen, weil es unglaubliche Tiere sind, die leider missverstanden werden.
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