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Ausgabe Nr. 32/2024 vom 06.08.2024, Fotos: Judith M. Trölß
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Von Frau Wäschedoktor (re.) bekommt Ehrentraud Hunger nicht nur fachliche Beratung. Anita Stölnberger hat auch immer ein offenes Ohr für ihre Kunden.
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Anita Stölnberger vor einer ihrer Stickmaschinen.
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In ihrem Geschäft „Oimtrocht“ finden sich Geschenke.
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Schwierige Fälle werden in der Werkstatt repariert.
Hausbesuch von Frau „Wäschedoktor“
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Mit einer originellen Idee zeigt Anita Stölnberger aus der Marktgemeinde St. Leonhard bei Freistadt (OÖ) auf. Die Mühlviertlerin ist mit ihrer Änderungsschneiderei auch mobil unterwegs und fährt zu Menschen, die nicht zu ihr kommen können, weil sie gebrechlich sind.
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Grüß Gott, Frau Doktor“, sagt Ehrentraud Hunger und schüttelt Anita Stölnberger freudig die Hand. Die Arzttasche in ihrer Hand lässt auf eine medizinische Konsultation schließen, immerhin ist Frau Hunger mit 81 Jahren zwar rüstig, aber nicht mehr die Jüngste.

„Ich habe schon alles zusammengerichtet für Sie“, sagt die Seniorin. Wer nun erwartet, dass Befunde und Medikamente am Tisch liegen, irrt gewaltig. „Bei meiner Trachtenweste ist ein Knopfloch ausgerissen und der dazupassende Rock müsste eingenäht werden, damit er wieder passt“, sagt Hunger und zeigt die Kleidungsstücke. Als Stölnberger ihre Tasche umdreht, löst sich die mysteriöse Szene auf. „Wäschedoktor“ ist in geschwungener Schönschrift darauf gestickt.

Seit sechs Jahren betreibt Stölnberger ihre Änderungs- und Reparaturschneiderei und ihr Geschäft „Oimtrocht“ in der Marktgemeinde St. Leonhard bei Freistadt (OÖ), das sich auf Lederhosen, Lederröcke, trachtige Leibchen, Blusen, Leinenbekleidung, Ledertaschen, Jacken und Gilets für Herren, aber auch auf Wolle und kleine Mitbringsel spezialisiert hat.

Ein Erstkommunionkleid mit Stickkunst gerettet

„Das Schneiderhandwerk ist ein aussterbender Beruf. Die Menschen setzen jedoch wieder mehr das Augenmerk auf Nachhaltigkeit. Darum bringen sie mir Hosen zum Kürzen oder um einen neuen Reißverschluss einzunähen. Kleidungsstücke mache ich enger oder weiter, verschließe wieder den offenen Saum und nähe Knöpfe ein“, zählt Stölnberger auf.

Die kreative Handwerkerin ändert auch die Länge von Vorhängen und repariert Taschen, bei denen etwa der Verschluss oder der Griff ausgerissen ist. Wenn keine Anprobe von Nöten ist, nimmt die Mühlviertlerin – nach Anfrage – die Kleidungsstücke oder Accessoires auch per Post entgegen und schickt sie wieder zurück.

Sieben Näh-, zwei Overlock- und zwei Stickmaschinen stehen ihr in der 30 Quadratmeter großen Werkstatt zur Verfügung. Und oft sind ihre Dienste wahrlich Hilfe in großer Not. „Eine Kundin kam zu mir, da das Erstkommunionkleid durch einen hartnäckigen Fleck unansehnlich wurde“, erinnert sich die 55jährige an ein berührendes Erlebnis. „Ich habe mich der Sache angenommen und ein liebevoll gestaltetes Motiv darübergestickt. Ich freue mich mit meinen Kunden, wenn wir besondere Erinnerungsstücke erhalten können“, sagt Stölnberger lächelnd, die ihre Arbeit wegen der Abwechslungsvielfalt liebt.

Weniger aus Geschäftssinn, sondern mehr aus Mitgefühl, das sie für ihre Mitmenschen empfindet, entsprang ihre jüngste Idee, die Änderungsschneiderei auf Räder zu bringen. „Ich arbeite ehrenamtlich für das Hospiz. Da erhielt ich Einblick, dass es Menschen oft nicht mehr möglich ist, meine Schneider-Werkstatt aufzusuchen. Danach ist die Idee dazu langsam in mir gewachsen.“

Dass die Mühlviertlerin bei aller Empathie auch originell ist, beweist ihre echte Arzttasche. „Mir kam in den Sinn, dass unser Gemeindearzt in Pension gegangen ist und ich habe ihn gefragt, ob ich seine Visiten-Tasche haben dürfte. Die wäre irrsinnig praktisch für meine Utensilien wie mein Maßband, meine Stecknadeln, die Schneiderkreide und meine Scheren.

Die Tasche stammt von einem „echten“ Doktor

Niemand hatte daran geglaubt, dass ich die Tasche erhalten würde, jedoch drei Tage nach meiner Anfrage hat mir der Arzt seine Tasche ins Geschäft gebracht und mir überlassen. Daraus entstand der Wäschedoktor und mein weiteres Angebot an meine Kunden war geboren“, berichtet Stölnberger, die ihre Errungenschaft natürlich selbst bestickt hat. „Wenn Dr. Reichinger und ich uns treffen, dann begrüße ich ihn mit ,Herr Kollege, was uns beide immer wieder amüsiert“, sagt die leidenschaftliche Schneiderin und lacht herzhaft auf.

„Aus Alt mach Neu. Das gefällt mir.“

Und so steht die Wäschedoktor-Tasche heute auch bei Frau Hunger. Die Trachtenweste und der Rock sind eingepackt. Anita Stölnberger wird die Kleidungsstücke ändern und reparieren. Dann wird alles wieder zur Trägerin zurückgeliefert. „Im Alter ist es mit der Sehkraft schon etwas schwerer, deshalb gebe ich meine besonderen Kleidungsstücke der Frau Wäschedoktor. Es ist für mich von großer Bedeutung, dass Anita zu mir ins Haus kommt.

Ich bin nicht mehr mobil und durch ihren Besuch bin ich auf niemanden angewiesen“, erklärt die 81jährige. „Sie nimmt sich auch Zeit für ein kurzes Plauscherl und bereichert mich mit neuen Gestaltungsideen, damit ich meine Kleidungsstücke wieder gerne trage. Zum Beispiel hat sie mir ein neues Kragerl auf eine Bluse genäht. Ganz nach dem Motto: ,Aus Alt mach Neu‘. Das gefällt mir und die Zeit ist recht kurzweilig. Jederzeit lasse ich die Frau Wäschedoktor an meinen Kleiderschrank“, sagt Ehrentraud Hunger und lächelt ihrer Wäschedoktorin mit sichtlicher Begeisterung zu.
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