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Ausgabe Nr. 15/2024 vom 09.04.2024, Fotos: picturedesk.com
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Nach seiner Entlassung, im
Juni 1992 – Jack Unterweger als Dandy im weißen Anzug mit seinem Schäferhund „Joy“.
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In Ketten gelegt – Jack Unterweger nach seiner Auslieferungsverhandlung am 28. Februar 1992 in Miami, Florida (USA).
Er war ein „Häfenpoet“ und Frauenmörder
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Selbst 30 Jahre nach seinem Tod gibt der Fall des mutmaßlichen Serienmörders Jack Unterweger Rätsel auf. Elf Morde wurden ihm zu Last gelegt, die er bis zuletzt bestritten hat.
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Er war ein Mörder, ein Dichter und ein Frauenheld. Bis heute – 30 Jahre nach seinem Tod – gehört Jack Unterweger zu den schillerndsten Figuren der heimischen Kriminalgeschichte. Mit seinem unbestrittenen Charme war es ihm ein Leichtes, andere zu manipulieren. Unterweger war ein Frauenmörder, den die Frauen liebten. Auch die Kulturwelt des Landes war fasziniert von seiner dunklen Vergangenheit und feierte ihn als geläuterten „Häfenliteraten“, der die Freiheit verdient hatte.

Er erlebte eine brutale Kindheit beim Opa

Johann „Jack“ Unterweger wurde am 16. August 1950 als unehelicher Sohn der Kellnerin Theresia Unterweger im steirischen Judenburg geboren. Seinen Vater, einen amerikanischen Besatzungssoldaten, lernte er nie kennen. Der Bub wuchs in einem von Gleichgültigkeit geprägten Umfeld auf. Seine früheste Kindheit verbrachte Unterweger alleine bei seinem Großvater Ferdinand Wieser in der „Körblerkeusche“, einem kleinen Bauernhaus im entlegenen Wimitzgraben (K).

Wieser war als gewalttätiger Trunkenbold gefürchtet, der auch nicht davor zurückschreckte, seinen Enkel, „das Hurenbankert“, zu schlagen. Der Großvater verwendete „Schürhaken als Zuschlaginstrumente. Er machte keinen Unterschied zwischen mir und meinen häufig wechselnden Zeitmüttern“, erinnerte sich Unterweger in seinem autobiografischen Roman „Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus“ (1983) an die Torturen, die er als Kind erleben musste. „Untragbare Familienverhältnisse. Nimmt es mit der Wahrheit nicht ganz genau. Kleiner Störenfried in der Klasse“, lauteten die Eintragungen im Klassenbuch der Volksschule Pisweg, die der kleine „Hansi“ ab 1956 besuchte. Schon bald landete das verwahrloste Kind bei Pflegeeltern, später in einem Heim. Mit 16 Jahren wurde Unterweger wegen Diebstahles zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt, danach in die Erziehungsanstalt in Kaiserebersdorf bei Wien gebracht, aus der er ein Jahr später als „unerziehbar“ entlassen wurde.

Unterweger verdingte sich daraufhin als Kellner, Hilfsarbeiter und Discjockey. Später versuchte er sein Glück in Deutschland, kam in Hamburg mit dem Rotlichtmilieu und Drogen in Kontakt. Unterwegers Leben befand sich schon länger in einer Abwärtsspirale, deren Tiefpunkt er in einer kalten Dezembernacht des Jahres 1974 erreichte.

Den ersten Mord beging er 1974 im Drogenrausch

Der damals 24jährige war mit einer Freundin in Hessen (D) unterwegs. Gegen 23 Uhr begegneten die beiden zufällig Margret Schäfer, einer Bekannten der Frau, die von einer Weihnachtsfeier auf dem Weg nach Hause war. Die 18jährige stieg in das Auto, nichtsahnend, dass diese Begegnung tödlich enden sollte. Die drei fuhren Richtung Herborn, als es zum Streit gekommen sein dürfte. Schäfer hatte erfahren, dass die beiden bei ihren Eltern eingebrochen waren. Berauscht von Alkohol und Drogen, bog Unterweger plötzlich in einen Waldweg ab und hielt das Auto an. Dann verschwand er mit Margret Schäfer im Wald. Eine Viertelstunde später kehrte er allein zurück, eine blutige Stahlrute, an der Haare des Opfers klebten, in der Hand. „Die wird uns nicht mehr verraten“, sagte er zu seiner Freundin.

Später hat er zugegeben, dass er die junge Frau brutal damit erschlagen hatte. Der Toten schlang er danach einen BH um den Hals, um seine Tat als Sexualdelikt zu tarnen. Damit wollte er die Polizei auf eine falsche Fährte locken. Die konnte ihn trotzdem als Täter überführen.

Für diesen Mord wurde Unterweger schließlich 1976 rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Prognosen des Gerichtspsychiaters Werner Laubichler waren düster. Unterweger leide an erheblicher psychischer Abnormität. Er sei Frauen gegenüber von spezieller Aggressivität. „Ein unverbesserlicher Gewohnheitsverbrecher, bei dem mit Sicherheit Rückfälle zu erwarten sind“, war der Gutachter überzeugt.

Jack Unterweger wurde in der Justizanstalt Stein (Krems/NÖ) untergebracht. Durch die lebenslange Verurteilung hatte er vor allem eines, Zeit. Der Mörder entdeckte seine Liebe zum Schreiben, verfasste Gedichte, Theaterstücke und sogar Gute-Nacht-Geschichten für die ORF-Sendung „Das Traummännlein kommt“. Zwischen 1985 bis 1989 gab er im Gefängnis die Literaturzeitschrift „Wort-Brücke“ heraus.

Die heimische Kulturszene setzte sich für ihn ein

Zahlreiche Prominente, darunter Elfriede Jelinek, veröffentlichten Beiträge darin. Die Nobelpreisträgerin gehörte auch zu denen, die sich – beeindruckt von Unterwegers Roman „Fegefeuer“ – vehement für eine vorzeitige Entlassung des mittlerweile zum „Häfenpoeten“ avancierten Mannes einsetzten. Für sein Werk erhielt er 1989 den „Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene.“

Die heimische Kulturszene sah in Unterweger geradezu ein Paradebeispiel für gelungene Resozialisierung. Hunderte Künstler, Intellektuelle und auch der Gefängnisleiter unterzeichneten eine Petition und forderten die Freilassung des Frauenmörders.

Nach fast 15 Jahren wurde Unterweger am 23. Mai 1990 vorzeitig aus der Haft entlassen und schon bald war er der unangefochtene Liebling der Wiener Schickeria.

Jack Unterweger stürzte sich ins pralle Leben, wurde hofiert, erschien auf Partys, gab Lesungen. Für Magazine posierte er halbnackt oder mit einem Strick um den Hals. Wie ein Zuhälter fuhr er in seinem auffälligen weißen Ford Mustang mit dem Kennzeichen „W-Jack 1“ durch die Stadt und trug mit Vorliebe weiße Anzüge und eine rote Blume im Revers.

Wenige Monate nach Unterwegers Entlassung begann eine Reihe von mysteriösen Frauenmorden, die große Parallelen aufwiesen. Alle Opfer waren Prostituierte, alle wurden mit dem Auto zum Tatort gebracht und dann mit den eigenen Dessous, meist mit dem BH erdrosselt. Der Mörder versteckte die Leichen in abgelegenen Waldstücken, manche wurden erst Monate später entdeckt. Im Oktober 1990 etwa wurde die Prostituierte Brunhilde Masser in Graz als vermisst gemeldet und drei Monate später von Spaziergängern ermordet aufgefunden. Unterweger hielt sich zum Tatzeitpunkt in der steirischen Hauptstadt auf, um an den Vorbereitungen zur Theateraufführung eines seiner Stücke mitzuwirken. Insgesamt elf Frauen wurden damals Opfer eines – noch unbekannten – brutalen Serienmörders.

Jack Unterweger erkundigte sich derweil als „Journalist“ bei der Polizei, wie weit die Ermittlungen in den Fällen verschwundener oder bereits tot aufgefundener Prostituierter gediehen waren. Dabei hatten ihn die Beamten längst selbst ins Visier genommen, hatte sich der Ex-Häftling doch stets in der Nähe der jeweiligen Tatorte zwischen Wien, Graz, Lustenau (V) und Prag (CZ) befunden. Der ahnte davon noch nichts und reiste im Zuge einer Recherche über das Rotlichtmilieu im Sommer 1991 nach Los Angeles (USA). Just zu dieser Zeit wurden dort binnen kürzester Zeit drei Straßenmädchen ermordet aufgefunden, erdrosselt mit einem sogenannten „Henkersknoten“, den der Täter in deren Unterwäsche gemacht hatte.

Die mörderische Spur des Serientäters zog sich weiter bis nach Tschechien. Dort wurde im Herbst 1991 die Prostituierte Blanka Bockova erdrosselt aufgefunden. Die Indizien gegen Unterweger verdichteten sich immer mehr. Er wurde schießlich zwischen Oktober und Dezember 1991 mehrfach einvernommen. Doch erst am 14. Februar 1992 wurde in Graz ein Haftbefehl gegen Jack Unterweger erlassen. Noch vor dessen Festnahme hatte ein Redakteur einer steirischen Tageszeitung, der gute Kontakte zur Polizei pflegte, exklusiv davon erfahren. „Der ehemalige Häftling und bekannte Autor Jack Unterweger steht unter dem Verdacht, mehrere Prostituierte getötet zu haben“, hieß es in einer Eil-Meldung. Unterweger reagierte umgehend und entzog sich seiner Verhaftung durch Flucht, zuerst in die Schweiz und dann nach Miami (USA). Im Schlepptau hatte er die 18jährige Schülerin Bianca, die er im Herbst 1991 in einer Bar kennengelernt hatte.

Nur 13 Tage später, am 27. Februar 1992 konnte Unterweger durch das FBI verhaftet werden. Die amerikanischen Ermittler hatten festgestellt, dass zumindest drei Prostituiertenmorde in Los Angeles die Handschrift ein und desselben Täters trugen, denn bei allen Opfern wurde der „Henkersknoten“ verwendet. Am 18. Mai 1992 wurde Unterweger nach einer zuvor erfolgten Auslieferungsverhandlung in die Heimat überstellt.

Mehr als zwei Jahre saß der mutmaßliche Serienmörder dann in der Justizanstalt Graz-Jakomini in Untersuchungshaft, bevor am 20. April 1994 vor dem Landesgericht Graz der Prozess gegen ihn begann. Jack Unterweger wurden elf Morde an Prostituierten zur Last gelegt.

Durch seinen Tod wurde das Urteil nie rechtskräftig

Es war der erste Prozess in unserem Land, der sich auf DNA-Beweise stützte. Der Prozess hing sprichwörtlich an einem Haar, das in Unterwegers Auto gefunden wurde. Es gehörte der in Tschechien ermordeten Blanka Bockova. Und es gab Faserspuren eines roten Schals, eines tausendfach verkauften Massenproduktes. „Die Indizienkette wirkte überzeugend“, meint die bekannte Strafverteidigerin Dr. Astrid Wagner in ihrem neuen Buch „Liebe, Mord und Zweifel“. Sie stand Unterweger nahe, hat für ihn gekämpft. Und sie frage sich bis heute, „Ist es nicht seltsam, dass bei elf Morden an den Tatorten keine einzige biologische Spur gefunden wurde, die von Jack stammte?“, erklärt Wagner.

Der Prozess endete am 28. Juni 1994. Acht Stunden berieten die Geschworenen, stimmten dann in neun Fällen 6:2 für schuldig wegen Mordes. „Ich bin nicht der Täter, ich habe mit keinem der Morde etwas zu tun“, beteuerte Unterweger nach der Urteilsverkündung. Kurze Zeit später erhängte sich der 43jährige in seiner Gefängniszelle mit der Kordel seiner Jogginghose.

Ob Jack Unterweger die Morde tatsächlich begangen hat, blieb offen. Gestanden hat er sie nie. Sein Anwalt ging nach dem Geschworenenspruch in Berufung. Durch Unterwegers Tod wurde das Urteil nie rechtskräftig und er gilt bis heute als unschuldig. rz
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