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Ausgabe Nr. 46/2023 vom 14.11.2023, Foto: Frau Jürgens, auf dem Titelbild des Albums „Die Blumen blühn überall gleich“ sitzen Sie rittlings auf dem Lenker und halten sich fröhlich an Ihrem Vater fest, w
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Jenny Jürgens wurde am 22. Jänner 1967 in München (D) geboren. Die Tochter von Udo Jürgens, der am 21. Dezember 2014 im Alter von 80 Jahren gestorben ist, schlüpfte in gewisser Weise in die Fußstapfen des Vaters. Sie ist als Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin tätig.

Jürgens ist in dritter Ehe mit dem spanischen Regisseur David Carreras Solé, 62, verheiratet. Das Paar lebt abwechselnd in Düsseldorf (D) und auf der spanischen Insel Mallorca.
„Ich bin lieber ein Hippie als spießig“
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Die Aufbereitung einer Jahrhundertkarriere geht weiter. Etwa ein Dreivierteljahr nach der Werkschau „da capo“ haben Jenny, 56, und John, 59, Jürgens die Kinderlieder ihres Vaters Udo Jürgens auf dem Album „Die Blumen blühn überall gleich“ versammelt.
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Frau Jürgens, auf dem Titelbild des Albums „Die Blumen blühn überall gleich“ sitzen Sie rittlings auf dem Lenker und halten sich fröhlich an Ihrem Vater fest, während er mit dem Rad durch die Natur fährt. Wissen Sie, wann und wo das Foto gemacht wurde?

Das war in Kitzbühel (Tirol), wo wir zu der Zeit lebten. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir durch diese Wiese mit lauter Löwenzahn gefahren sind. Ich war damals vier Jahre alt.

Was haben Sie als Vierjährige vom Beruf Ihres Vaters mitbekommen?

Ich wusste, dass der Papa Sänger ist. Ich habe ihn oft Klavier spielen gehört, auch daheim hat er immer musiziert. Aber ich war ja noch ein kleines Kind. Wichtiger war es mir, wenn der Papa Zeit für uns hatte.

Wie war das Verhältnis von Ihnen und Ihrem drei Jahre älteren Bruder John zum Vater?

Sehr liebevoll und – von früh an – auf Augenhöhe. Wir haben uns von unseren Eltern immer absolut ernstgenommen und verstanden gefühlt. Und beim Essen haben wir liebend gerne mitdiskutiert.

Worüber?

Über alles. Sich unterhalten, das war immer ganz wichtig für meinen Vater und für uns. Wir haben viel geredet, und wir haben auch offen gesprochen. Es gab bei uns kein Thema, das tabu war. Auch über die Liebe und solche Dinge haben wir uns gut unterhalten können. Mein Vater war zudem ein äußerst politischer Mensch, da haben wir Kinder gerne zugehört, auch, wenn wir nicht immer alles verstanden haben.

Ist Ihnen ein Erlebnis inbesonderer Erinnerung, das typisch war für Ihre Kindheit?

Wir waren einmal in Zürich (Schweiz) zusammen essen, in dem feinen und teuren Lokal „Kronenhalle“. Am Nebentisch saß eine Frau, die einen Leopardenmantel an hatte, und ich habe die Krise gekriegt. Ich muss so ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein und war zu der Zeit ein ziemlicher Hippie. Jedenfalls sagte ich: „Papa, schau dir das an.“ Mein Vater schrieb dann auf ein Stück Papier so etwas wie „Gnädige Frau, ich hoffe, Sie wissen, dass Leoparden vom Aussterben bedroht sind. Vielleicht denken Sie noch einmal darüber nach, ob Sie wirklich solch einen Mantel tragen wollen. Herzliche Grüße, Udo Jürgens“. Den Zettel haben wir der Dame beim Gehen heimlich in die Manteltasche gesteckt.

Steckt heute noch ein Hippie in Ihnen?

Nein, ich bin kein Hippie mehr. Sonst würde ich ein ganz anderes Leben führen. Aber diese Art zu denken und zu leben, ist mir durchaus nah und nicht unsympathisch. Ich bin gedanklich lieber ein Hippie als eine konservative Spießerin. Obwohl wir auch durchaus konservativ erzogen wurden.

Welche Werte waren Ihren Eltern wichtig?

Gutes Benehmen, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit – diese drei Eckpfeiler des Miteinanders wurden in unserer Familie großgeschrieben. Uns wurde außerdem beigebracht, nicht auf Äußerlichkeiten zu schauen. Viele Menschen sehen jemanden mit Anzug und Krawatte und denken, das müsse aber ein seriöser Mann sein. Das ist natürlich völliger Blödsinn, aber gib‘ jemandem einen Titel oder einen Anzug, und die Menschen sind immer ein bisschen beeindruckt.
Davon müssen wir uns freimachen. Vielleicht ist derjenige mit dem langen Haar und den Löchern in der Jeans ja Professor für Molekularbiologie?

Das heißt, Sie sind vorurteilsfrei erzogen worden …

Unsere Eltern haben versucht, uns ohne Vorurteile zu erziehen. Auch, weil wir selber mehr als genug Erfahrungen mit Voreingenommenheit sammeln durften. Gerade in der Schule war es nicht immer leicht, und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn jemand dir gegenüber eine vorgefertigte Meinung hat, ohne dich zu kennen oder nur mit dem Wissen, das er oder sie aus der Zeitung hat.

Das Video von „Die Blumen blühn überall gleich“ wurde im Jahr 1978 gedreht und sieht modern aus. Kinder aus unterschiedlichen Kulturen und mit verschiedenen Hautfarben tragen die Botschaft dieses Liedes. Hat Udo Jürgens das Thema Diversität ungefähr vierzig Jahre vor allen anderen aufgegriffen?

Ja, zu diesem Zeitpunkt war das Lied wirklich außergewöhnlich. Die Kunst meines Vaters ist eben kein Blabla, sondern sie ist komplett zeitlos. Auch nach 45 Jahren hat dieses Lied, wie so viele andere von ihm, noch seine volle Gültigkeit.
Er hat in seinem Schaffen viel vorweggenommen.
Udo Jürgens war immer ein Visionär. In Deutschland gab und gibt es niemand Vergleichbaren.

Ihr Vater ist 2014 im Alter von achtzig Jahren
unerwartet verstorben. Würde er wohl
die heutige Zeit kreativ inspirierend finden?


Das wäre sicherlich der Fall. Während Corona hätte er wahrscheinlich die meiste Zeit in seinem Haus in Portugal verbracht und viel geschrieben. Auch den Krieg in der Ukraine hätte er in einen Song eingebaut. Aber mein Vater hatte zu jeder Zeit mehr als genug Liedtextstoff.

Ist „Die Blumen blühn überall gleich“ ein Album für Kinder oder eines für Erwachsene, die vor vierzig, fünfzig Jahren Kind waren?

Das ist ein Album für alle. Selbst das lustige und rockige Lied „Witschi watschi“ hat einen ernsten Kern.

Es handelt von zu viel Schwatzhaftigkeit …

Genau. So kann es durchaus interpretiert werden. Auch wenn es vor fünfzig Jahren noch kein Internet und noch keine sozialen Medien gab, könnte man meinen, mein Vater singe darüber mit leichtem Spott. Er hatte einen großen Sinn für Ironie und für Albernheiten, mit denen er nebenbei den Finger ein wenig in die Wunden legte.
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