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Ausgabe Nr. 43/2023 vom 24.10.2023, Fotos: AdobeStock
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Die Kindergarten-Misere
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Schon jetzt fehlen tausende Kindergärtnerinnen, im Jahr 2030 sind es fast 14.000. Das Personal ist am Limit, die Gruppen sind zu groß. Längere Öffnungszeiten werden so unmöglich.
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Ausflüge müssen gestrichen werden, weil das Personal fehlt. Fördermaßnahmen können oft nicht mehr stattfinden. Bei Krankenständen müssen Gruppen zusammengelegt werden, weil es keinerlei Puffer gibt.

Wenn es um die Kleinsten in unserem Land geht, sind die verantwortlichen Politiker taub. Dabei wissen alle, was getan werden müsste, um die Lage in den Kindergärten zu verbessern. Mehr Geld, mehr Personal, kleinere Gruppen, das wird seit Jahrzehnten gefordert. Verbesserungen gibt es aber kaum, und wenn, dann nur zizerlweise.

Am 24. Oktober gehen die Elementarpädagoginnen wieder einmal auf die Straße, dieses Mal in Wien. „Wir wollen darauf hinweisen, dass die Situation momentan wirklich prekär ist. Alleine in Wien fehlen in den verschiedenen Einrichtungen 1.200 Fachkräfte. Das ist das Personal, das wir brauchen, wünschen würden wir uns mehr“, sagt Judith Hintermeier von der Gewerkschaft „younion“. Sie ist selbst Pädagogin.

Gefordert wird zudem mehr Reinigungspersonal, um die Assistentinnen zu entlasten, und Bürokräfte. „Denn es fällt immer mehr Bürokratie und Papierkram an.“

„Wenn sich nichts ändert, bricht System zusammen“

Rund 230.000 Kinder zwischen drei und sechs Jahren besuchen hierzulande den Kindergarten. An die 50.000 Kleinkinder sind es in den Krippen.
„Wenn sich nicht irgendetwas verändert, vor allem bei den Rahmenbedingungen, dann wird das System zusammenbrechen“, befürchtet ein Wiener Elementarpädagoge angesichts der österreichweiten Situation. Er ist einer von wenigen hundert Männern, die den Beruf ausüben. Sie machen nur zwei Prozent des Kindergartenpersonals aus. Der Beruf ist „weiblich“.
In manchen Einrichtungen werden schon jetzt für bis zu 50 Prozent der Stellen, die eigentlich für Elementarpädagoginnen gedacht sind, Mitarbeiterinnen eingesetzt, die diese Ausbildung nicht haben.
„Manche sind Assistentinnen, andere haben beispielweise eine Tagesmutter-Ausbildung“, erklärt Viktoria Miffek-Pock vom Verein EduCare, der sich seit Jahren für die Belange der „frühen“ Pädagogik einsetzt. „Sie sind sozusagen als ,Lückenfüller‘ im System und machen die Arbeit einer Elementarpädagogin.“

Bis 2030 werden laut Forschern 13.700 Kindergarten-Pädagoginnen fehlen. Derzeit steigt nur die Hälfte nach der Ausbildung mit Matura oder Diplom in den Beruf ein. „Unter anderem, weil es an Aufstiegsmöglichkeiten fehlt und es zu wenig Wertschätzung für die frühkindliche Bildung gibt, wie eine Studie der Universität Klagenfurt zeigt“, weiß Miffek-Pock. „Der Beruf wird als körperlich und psychisch belastend empfunden, die Zahl der Kinder in einer Gruppe als zu hoch.“

Derzeit gelten in den Kindergärten, je nach Bundesland, Höchstgrenzen von 23 bis 25 Kindern pro Gruppe. „In den Kleinkind-Gruppen dürfen es maximal 15 sein. Dazu müssen jeweils eine Pädagogin und eine Assistentin in der Gruppe sein“, sagt die Gewerkschaftlerin Judith Hintermeier.
„Früher war der gesetzlich vorgegebene Mindest-Betreuungssschlüssel bei den Unter-Dreijährigen besser, aber das wurde angesichts des Fachkräftemangels reduziert. Wir würden uns Kindergartengruppen mit 18 bis 20 Kindern wünschen.“

Ideal wären höchstens 15 Kinder in der Gruppe

Ideal wäre eine noch niedrigere Kinderanzahl pro Gruppe. „Geht es nach dem neuesten Stand der Forschung, sollten in den Kindergärten bei den Drei- bis Sechsjährigen höchstens 15 Kinder in einer Gruppe sein, bei den jüngeren je nach Alter maximal acht“, sagt die EduCare-Geschäftsführerin.
Der Personalmangel hat auch Auswirkungen auf die Öffnungszeiten. Wien sei dabei auf einem hohen Niveau. „In den Bundesländern schaut es ganz anders aus. Wir haben in Niederösterreich, in Tirol, in Vorarlberg noch viele Gruppen, die zu Mittag schließen. Für längere Öffnungszeiten und kleinere Gruppen braucht es natürlich mehr Pädagoginnen.“

Die Gewerkschaft will die interne Weiterbildung forcieren ebenso wie die Ausbildung für Erwachsene, die sich im zweiten Bildungsweg für den Beruf entscheiden. „Die bleiben uns dann auch. Es wäre gut, wenn das österreichweit ausgebaut wird“, sagt Judith Hintermeier.
Eine Milliarde Euro mehr pro Jahr wären für die notwendigen Verbesserungen notwendig. Derzeit gibt die öffentliche Hand rund drei Milliarden für den Bereich aus. „Es geht jetzt nicht unbedingt darum, dass wir mehr am Gehaltszettel haben. Das ist nicht das Hauptproblem der Kolleginnen. Sie brauchen bessere Arbeitsbedingungen.“
Für die Kindergärten-Regelungen sind weitgehend die Bundesländer verantwortlich. „Schon allein die Gehälter sind von Bundesland zu Bundesland, von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. In Wien liegt das Einstiegsgehalt in öffentlichen Kindergärten bei brutto 3.124 Euro, beim Land Steiermark sind es 2.266 Euro brutto im Monat, in der Stadt Graz sind es 2.765 Euro“, rechnet Judith Hintermeier vor.
Beim Land Niederösterreich beträgt das Brutto-Monatsgehalt für Einsteiger je nach Berufserfahrung 2.600 bis 3.000 Euro. In Kärnten und Tirol sind es rund 2.900 Euro. Weniger verdienen Kindergärtnerinnen in Vorarlberg mit 2.650 Euro.

Bildung in der frühen
Kindheit am wichtigsten


„Assistentinnen verdienen teilweise nicht einmal 2.000 Euro brutto, bei ihnen variiert auch die Ausbildung
je nach Bundesland.“ In manchen Bundesländern heißen sie auch Helferinnen oder Betreuerinnen, sie unterstützen die Pädagoginnen, richten aber auch etwa das Mittagessen her.
Wie wichtig die Kindergärten sind, wird oft vergessen. „Forschungen zeigen, dass die wichtigste Bildung, jene, die am meisten Auswirkung auf das spätere Leben hat, die in der frühen Kindheit ist“, erklärt Viktoria Miffek-Pock vom Verein EduCare. „Nie wieder passieren im Gehirn so viele Prozesse, nie wieder bilden sich so viele Fähigkeiten gleichzeitig aus. Deswegen müssen gerade diejenigen, die mit jungen Kindern arbeiten, die allerbeste Ausbildung haben, die es gibt.“

Oft wird die Tätigkeit der Kindergärtnerinnen geringschätzig mit „Spielen, Malen, Basteln“ abgetan. Dem widerspricht die Expertin: „Das Spiel ist die wichtigste Lernform des Kindes. Alles, was es über sein Umfeld, über das soziale Miteinander lernt, lernt es im Spiel. Auch alle Alltagsprozesse, die wir im Kindergarten begleiten, sind Bildungsprozesse, etwa wie halte ich eine Schere, um damit schneiden zu können.“

Für den Spracherwerb ist der Kindergarten ebenso wichtig wie für das Verständnis von Zahlen. Die Kinder lernen aus ihren Alltagserfahrungen und deshalb umso lieber und mehr, weil sie es von sich aus wollen. „Nicht weil ihnen ein Lehrplan vor die Nase gehalten wird.“
Mehr Anerkennung für ihren Beruf, das wünschen sich alle Betroffenen. „Die Gesellschaft muss aufhören, davon auszugehen, dass das Tanten sind, die zu viert dasitzen, Kaffee trinken und tratschen, während die Kinder rundherum spielen“, sagt der Wiener Kindergärtner. „Die ersten Entwicklungsschritte eines Kindes werden von uns begleitet und gefördert. Wir sind keine Aufbewahrungsstätte, sondern eine Bildungseinrichtung.“
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