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Ausgabe Nr. 34/2023 vom 22.08.2023, Foto: AlamyStock
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Mit einer Länge von bis zu zwei Metern und einem Gewicht von bis zu 700 Kilo die größte aller Meeresschildkröten.
Die Vagabunden des Ozeans
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Elegant paddeln sie durchs Wasser, legen tausende Kilometer zurück und finden selbst Jahre später noch den Weg zurück an die Strände ihrer Geburt. Meeresschildkröten sind faszinierende Urzeitwesen, doch Bejagung, Beifang und Umweltverschmutzung setzen ihnen zu.
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Im Sommer 2015 saß die deutsche Meeresbiologin Christine Figgener, 39, in einem Boot vor der Küste Costa Ricas (Zentralamerika) und schabte Parasiten vom Panzer einer Meeresschildkröte, als sie einen Fremdkörper in der Nase des Tieres bemerkte. Also nahm sie ihre Videokamera zur Hand und bat einen Kollegen, das unbekannte Objekt zu entfernen – es war überraschenderweise ein Plastikstrohhalm.

„Als ich an jenem Abend nach Hause kam, lud ich das Video ins Internet und innerhalb von nur zwei Tagen haben es Hunderttausende, bis heute sogar mehr als 110 Millionen Menschen gesehen“, berichtet die 39jährige. Seitdem wurde die Verwendung von Einmalplastik weltweit neu diskutiert und in vielen Ländern sogar verboten. Ein schöner Erfolg für die engagierte Tierschützerin und Autorin (siehe Buchtipp unten). Immerhin kann Plastikmüll die Sterblichkeitsrate von den weltweit noch sieben existierenden Meeresschildkröten-Arten, die 80 Jahre oder noch älter werden können, erheblich steigern.

Tödliche Verwechslungsgefahr
„Lederschildkröten können den im Wasser treibenden Plastikmüll nicht von ihrer Leibspeise, den Quallen, unterscheiden. Sie ersticken entweder schon beim Verzehr oder an der Verstopfung des Verdauungssystems“, beklagt Figgener in ihrem Buch „Meine Reise mit den Meeresschildkröten“. Von Natur aus sind die Reptilien – die sich vor etwa 200 Millionen Jahren aus den Landschildkröten entwickelt haben und je nach Art zwischen 70 und 200 Zentimeter lang werden können – mit ihrem stromlinienförmigen, abgeflachten Panzer perfekt an das Leben im Meer angepasst. Ihre Vorder- und Hinterbeine sind zu flossenartigen Paddeln umgebildet, mit denen die streng geschützten „Ur-Viecher“ so gut schwimmen können, dass sie bis zu 25 Stundenkilometer schnell sind. Doch den Kopf und die Extremitäten können sie bei drohender Gefahr nicht mehr einziehen.

„Als Vagabunden halten sie sich auch nicht in einem bestimmten Meeresgebiet auf, sondern legen bis zu 100 Kilometer pro Tag zurück und folgen dabei den Meeresströmungen“, weiß die Expertin. Meeresschildkröten können dabei bis zu fünf Stunden abtauchen, ohne Luft zu holen. Das ist länger, als jeder Wal es kann. Möglich ist dies dadurch, dass sich ihr Stoffwechsel stark verlangsamt und ihr Herz nur ganz selten schlägt. „Mehr als 250.000 Meeresschildkröten landen jedes Jahr auf ihrer langen Reise jedoch ungewollt in den Schlepp- und Treibnetzen von Fischern und ersticken qualvoll“, kritisiert Figgener. Doch vor allem die frisch geschlüpften Schildkrötenbabys haben viele Feinde. Oft werden schon die Eier von Nesträubern geplündert. Viele Junge fallen auf ihrem Weg vom Strand zum Meer hungrigen Vögeln wie Möwen zum Opfer. Aber auch im Meer warten Fressfeinde wie Krabben und Raubfische. Und so erreicht im Durchschnitt nur eine Meeresschildkröte von tausend das fortpflanzungsfähige Alter von 15 bis 45 Jahren.

Zurück „nach Hause“ zum Eierlegen
„Meeresschildkröten paaren sich im Meer. Dann schwimmen die Weibchen zur Eiablage zu dem Strand, an dem sie selbst geschlüpft sind, auch wenn sie Tausende von Kilometern zurücklegen müssen“, so die Autorin. Im Schutz der Nacht graben die Reptilien eine bis zu 50 Zentimeter tiefe Mulde in den Sand, legen rund 100 Eier hinein und schaufeln das Loch wieder zu. Für das Ausbrüten sorgt die Sonne.

„Liegt die Temperatur über 30 Grad Celsius, entstehen Weibchen. Ist sie niedriger, entwickeln sich in den Eiern Männchen“, erklärt die Meeresbiologin. Sind die nur 20 Gramm leichten Jungen nach 45 bis 70 Tagen geschlüpft, krabbeln sie so schnell wie möglich ins Meer. „Den Weg weist ihnen der Mond. Sein Licht reflektiert auf der Meeresoberfläche, die dann hell leuchtet“, weiß Figgener. Die vielen künstlichen Lichtquellen lenken die Tiere aber immer öfters in die falsche Richtung, so dass sie zu den Wohn- und Hotelanlagen anstatt ins Meer kriechen.

Buchtipp:
Dr. Christine Figgener
„Meine Reise mit
den Meeresschildkröten“
Malik Verlag, 2023,
272 Seiten, € 18,–
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