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Ausgabe Nr. 18/2023 vom 02.05.2023, Foto: zVg
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Das erste automatische Restaurant.
Speisen bei Roboter „Susie“
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Weil ihnen die Preise in den Restaurants zu hoch waren, entwickelten drei Freunde und ein Hauben-Koch eine neue Form des Speisens. Ohne Koch und Kellner. Aus Tausenden von Varianten können sich die Gäste ihr Essen selbst zusammenstellen. Allerdings bleibt bei dieser neuen Art der Gastronomie auch die gemütliche Atmosphäre auf der Strecke.
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Der 23jährige John Macorn ist Student in San Francisco, im Norden von Kalifornien (USA). Er hat die Liebe gefunden und wollte seinem Schwarm mit einem guten Essen imponieren. „Allerdings musste ich meine Finanzen im Auge behalten, schließlich bin ich als Student stets knapp bei Kasse“, erzählt Macorn.

Er eröffnete seiner angebeteten Carol Murphy, 21, er würde sie in den sogenannten Embarcadero-Distrikt ausführen. Dieser Küstenabschnitt der Stadt ist für seine Feinschmecker-Restaurants und Delikatessenläden bekannt.

Holzbänke statt gediegene Atmosphäre
„Das wird dir bestimmt gefallen. Es ist einmal etwas anderes“, sagte Macorn. Also setzten sich die beiden in seinen Volkswagen und fuhren los. Bis zum Mission Bay Boulevard, dort parkte der 23jährige seinen Wagen vor einem blau-weiß gestrichenen Gebilde, das aussah wie ein Schiffscontainer. „Wir sind da, hier ist es“, rief er fröhlich. „Guten Appetit!“

„Wo ist das Restaurant?“, fragte Carol Murphy und zupfte an ihrem Kleid herum. Sie hatte sich extra feingemacht, weil sie dachte, sie werde in einen eleganten Speisetempel geführt. Verwundert schaute sie sich um. Doch da war nur dieser große Kasten. In seiner Vorderseite waren Öffnungen mit Glastüren eingelassen. Davor standen ein paar einfache Holztische und Bänke. In großen Buchstaben war der Name „MEZLI“ zu lesen.

„Das soll ein Restaurant sein?“, entfuhr es der jungen Frau. So begann vor einem Jahr der Abend von John Macorn und Carol Murphy in San Franciscos neuartigem Restaurant. „Es hätte schiefgehen können“, sagt der Student heute lachend über diesen Tag. „Zum Glück war das Essen gut.“ Seit drei Monaten sind die beiden verlobt.

Macorn hatte Recht, als er das „MEZLI“ als ungewöhnliches Restaurant ankündigte. Es ist das erste vollautomatische Speiselokal, in dem Roboter die Gerichte entsprechend den Gästewünschen zusammenstellen und aushändigen. Das Essen erscheint, wie von unsichtbaren Händen hingeschoben, zum Abholen in den Fensterchen des Containers. Der Student gibt zu, dass er etwas enttäuscht war über die erste Reaktion seiner heutigen Verlobten. Aber als er sah, dass sie die von ihr um knapp sieben Dollar bestellten Kichererbsen mit rotem Reis und geröstetem Karfiol genoss, legten sich seine Bedenken.

Von der futuristischen Einrichtung hatte der 23jährige in einem Artikel einer Lokalzeitung gelesen. Darin stand, dass sich zwei Jahren zuvor bereits drei Studenten der Stanford-Universität über die hohen Preise in Kaliforniens Gaststätten geärgert hatten. Alex Grüble, ein Doktor der Mechanik, Alex Kolchinski, Student für Künstliche Intelligenz, und Max Perham, ein Weltraum-Ingenieur.

Das Trio lernte eines Abends, als es bei einem Bier zusammensaß, den Hauben-Koch Eric Minnich kennen. „Zu viert begannen wir, von einer Gastwirtschaft zu fantasieren, in der Roboter die Aufgaben des Personals übernehmen“, erzählt Kolchinski, der „MEZLI“-Chef. „Das Lokal sollte Feinkost zu niedrigen Preisen anbieten, unter 15 Dollar.“
Die vier hatten die Situation in der Gastronomie unter die Lupe genommen und herausgefunden, dass die Löhne den größten Kostenfaktor darstellten. Wirte in Kalifornien, die ihrem Personal mindestens 22 Dollar pro Stunde zahlen, und trotzdem oft niemanden finden, geben ihre Kosten an die Gäste weiter. „Hohe Löhne fallen bei uns weg“, sagt Kolchinski. „Deshalb können wir Mahlzeiten preiswerter abgeben.“

So wie einst die Microsoft-Gründer Bill Gates und Paul Allen den Kleincomputer erfanden, bastelten die drei Studenten in einer Garage am Prototyp des vollautomatischen Restaurants: einen mit Elektronik, Greifern, Mixern, Gleitschienen, Heizgerät und Software vollgeladenen Container. Sie tauften ihn „Susie“. Der Superkoch Minnich entwarf gesunde Mittelmeer-Gerichte, die sich leicht zusammenstellen und mit Gewürzen verändern lassen. „Ich kochte zuhause Speise-Bestandteile und brachte sie in die Garage. Dort steckten meine Freunde sie in den Roboter, dessen Software daraus die Gerichte zusammenstellte – bis zu 60.000 Variationen gibt es.“

Bis zu 75 Gerichte pro Stunde werden zubereitet
Für die Bestellung können die Gäste an den Holztischen mit ihrem Mobiltelefon die Internetseite von „MEZLI“ aufrufen, ihre Speisewünsche eingeben und mit Kreditkarte bezahlen. Auch Macorn und seine Verlobte haben so bestellt und bekamen nach wenigen Augenblicken eine Rückmeldung samt Code. Damit konnte er die Gerichte, die in kompostierbaren Schüsseln gereicht werden, an einem der Fenster abholen.

„Die meisten Mahlzeiten bestehen aus Getreide, Gemüse und Protein“, erklärt Eric Minnich: „Es gibt Falafel, Reis, Tzatziki, Huhn und vieles mehr. Derzeit können wir pro Stunde bis zu 75 Gerichte liefern.“
Ganz ohne menschliche Hilfe kommt aber auch „MEZLI“ nicht aus. Die Hauptbestandteile der Gerichte werden nachts in einer benachbarten Küche vorgekocht und zu „Susie“ gebracht, die rund um die Uhr arbeiten kann, ohne zu murren oder Geld zu verlangen.

Obwohl sie mit der Qualität des Essens zufrieden war, sieht die 21jährige Carol Murphy die neue Art zu speisen kritisch. „Mir fehlte die menschliche Wärme, die Atmosphäre eines Eckbeisls oder eines feinen Restaurants. Niemand von den anderen Gästen sprach ein Wort.
Alle aßen schweigend vor sich hin, so als wären sie selbst zu Robotern geworden. Wenn dies die Zukunft unserer Esskultur werden soll, lerne ich lieber Kochen.“
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