Jetzt anmelden
Ausgabe Nr. 11/2023 vom 14.03.2023, Fotos: Vasyl - stock.adobe.com, Quelle Grafik1: Trennung und Scheidung im Längsschnitt“, 2015, Statistik Austria
Artikel-Bild
Manche denken sich: „Jetzt geht es noch“
Artikel-Bild
Warum sich Paare in der zweiten Lebenshälfte trennen
Artikel-Bild
"Graue Scheidungen"
Wenn alte Liebe rostet
Der Anteil der Scheidungen nach der Lebensmitte hat sich fast vervierfacht. Die finanziellen Einbußen durch die Trennung sind für Frauen schlimmer.
Auf Play drücken
um Artikel vorlesen
zu lassen.
Maria Moser (Name von der Redaktion geändert) hat lange mit sich gerungen, bevor sie ernsthaft an eine Scheidung dachte. „Die Kinder waren aus dem Haus, das Einzige, was uns sonst noch verbunden hat, waren das gemeinsame Haus und der Kredit, den wir dafür abbezahlen mussten“, erzählt die 55jährige. „Wir hatten keine gemeinsamen Interessen mehr, keinen Gesprächsstoff. Daran war ich sicher auch schuld. Wir haben uns im Laufe der Jahrzehnte einfach auseinanderentwickelt.“
Knapp nach ihrem 50. Geburtstag erzählte sie ihrem Mann das erste Mal von den Trennungsgedanken. „Er ist aus allen Wolken gefallen. Er hat geglaubt, es sei alles in Ordnung“, sagt Maria Moser. „Aber ich hatte das Gefühl, das kann noch nicht alles gewesen sein.“
Heute ist sie geschieden, eine neue Beziehung gibt es nicht. Auch wenn sie das nicht ausschließt. „Es war für uns alle, meinen Ex-Mann, die Kinder und mich schwierig“, berichtet sie über die Trennungsjahre. „Ich wäre gerne mit ihm alt geworden, aber nicht so.“
Die Zahl der „Grauen Scheidungen“ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vervierfacht. So nennen Forscher Trennungen, bei denen mindestens ein Partner schon 50 Jahre oder älter ist. Während die Scheidungsrate bei den Jüngeren sinkt, steigt sie nach der Lebensmitte.

Jede siebente Scheidung nach der Silberhochzeit
Die späten Scheidungen sind auch ein Produkt des gesellschaftlichen Wandels. „1985 waren Frauen, die 50 und älter waren wirtschaftlich noch sehr abhängig vom Ehemann“, erklärt die Soziologin Sonja Dörfler-Bolt vom Österreichischen Institut für Familienforschung an der Universität Wien. „Sie konnten sich oft nicht scheiden lassen, weil sie dann enorme finanzielle Einschnitte hätten hinnehmen müssen. Scheidungen waren zudem gesellschaftlich weniger akzeptiert als heute, die Stigmatisierung war groß.“
Jetzt scheitert jede dritte Ehe, im Schnitt sind die Paare zehneinhalb Jahre verheiratet. Jede siebente Scheidung erfolgte im Jahr 2021 nach der Silberhochzeit. 31 Paare trennten sich erst nach der Goldenen Hochzeit.
Den entscheidenden Schritt setzen meistens die Frauen. „Wir wissen grundsätzlich aus der Scheidungsforschung, dass die Initiative für eine Trennung eher von den Frauen ausgeht. Dass sie entscheiden: ,Es ist jetzt vorbei‘“, sagt Sonja Dörfler-Bolt.
Die Gründe dafür sind verschieden. „Werden die Betroffenen gefragt, warum sie sich scheiden haben lassen, ist häufig die Antwort: ,Wir haben uns auseinandergelebt.‘ Oft haben sich die Lebenswelten der Partner auseinanderentwickelt“, weiß die Soziologin, die Mitautorin einer Studie über die „Grauen Scheidungen“ ist.
Etwa wenn der Mann viel Energie und Zeit in den Beruf gesteckt hat, während die Frau zwar auch arbeiten ging, sich aber mehr um die Kinder gekümmert hat. „Das Verständnis für das Leben des anderen schwindet, man kann sich nicht mehr einfühlen. Immer wieder gibt es dann von beiden Seiten das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, nicht wertgeschätzt zu werden.“
Aber auch Kommunikationsprobleme werden oft beklagt. Laut einer Untersuchung von Forschern der Universität Bern (Schweiz) ist das einer der Hauptgründe für Trennungen in der zweiten Lebenshälfte.
„Wenn Partner schweigen, ausweichen, dann leben sie sich natürlich auseinander. Man weiß nicht mehr, was im Inneren des Gegenübers vorgeht“, stellt Sonja Dörfler-Bolt fest. „Auch eine Krankheit oder ein Unfall kann die Ursache für eine Scheidung sein. Etwa wenn derjenige, der erkrankt ist, überlegt, ob er sein Leben so weiterleben oder noch einmal neu beginnen will, bevor er zu alt ist.“

Manche denken sich: „Jetzt geht es noch“
Die meisten Betroffenen einer späten Scheidung hierzulande sind zwischen 50 und 55 Jahre alt. „Da denken sich manche: ,Jetzt geht es noch, wenn ich warte und in dieser unzufriedenen Situation bleibe, ist es irgendwann nicht mehr möglich.‘“
Die wirtschaftlichen Folgen einer späten Scheidung sind für Frauen nach wie vor einschneidender als für Männer. Viele haben sich jahrelang um die Kinder gekümmert, die Schwiegereltern gepflegt, vielleicht nur Teilzeit gearbeitet. „Grundsätzlich verschlechtert sich der Lebensstandard nach einer Scheidung aber für Männer und Frauen“, sagt die Soziologin Dörfler-Bolt.
Für die renommierte Wiener Scheidungsanwältin Helene Klaar steht fest: „Eine Scheidung muss man sich leisten können.“ Doch „es gibt leider viele Menschen, die es sich nicht leisten können.“ Sich scheiden zu lassen, sei „durch die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Da können sich vielleicht ausreichend versorgte Menschen die Scheidung eher leisten.“
Bei der Trennung wird das in der Ehe erworbene Vermögen geteilt. „Was jemand geerbt oder geschenkt bekommen hat, ist ausgenommen“, erklärt die Scheidungsanwältin. Es sei denn, es gibt einen Ehevertrag.
„Die Vermögensaufteilung ist ein breites Feld der Streitigkeiten ebenso wie der Unterhalt, denn ohne Unterhalt gibt es keine Hinterbliebenen-Pension. Die ist aber wichtig“, sagt Helene Klaar. „Zwischen den Gehältern von Männern und Frauen gibt es bei gleichwertiger Tätigkeit einen Unterschied von 20 Prozent, bei den Pensionen liegt er bei 40 Prozent. Viele Frauen können von ihrer Pension nicht leben.“ Ist das Einkommen etwa der Frau deutlich niedriger als jenes des Mannes, hat sie einen Unterhaltsanspruch.
Neun von zehn Scheidungen erfolgen in „gegenseitigem Einvernehmen“. Doch die Zahlen sagen wenig aus über den Trennungsprozess davor. Viele machen von dieser günstigen und unbürokratischen Scheidungsart Gebrauch, „wenn man sich, wie es so schön heißt, zusammengestritten hat. Aber man lässt sich nicht aus Liebe scheiden, jeder Scheidung gehen irgendwelche Auseinandersetzungen voraus“, spricht Helene Klaar aus Erfahrung.

Überlegen, ob es einem besser geht
„Entweder man versucht sich im Verhandlungsweg zu einigen oder einer bringt einmal die Klage ein und es wird vor Gericht hin- und hergestritten. Wenn sich alle müde gestritten haben, wird doch eine einvernehmliche Scheidung gemacht.“ Dass sich fast 90 Prozent letztendlich einigen, heißt „ja nicht, dass die Menschen von vornherein Hand in Hand zu Gericht hüpfen und sagen: ,Heißassa wir wollen uns scheiden lassen.‘“
Helene Klaars Rat an Scheidungswillige ist von ihrer jahrzehntelangen Erfahrung geprägt. „Man muss bei jeder Scheidung bedenken, wie man nachher leben wird. Das hat mich relativ früh zur Erkenntnis gebracht, dass eine nicht mehr so glückliche Ehe immer noch besser ist als zu hungern und zu frieren. Man muss sich überlegen, ob es einem nach der Scheidung besser geht oder wenigstens gleich gut.“
Weitere Inhalte dieser Ausgabe:
Ihre Meinung
Ihre Meinung ist uns wichtig.

Schreiben Sie Ihren Kommentar zu diesem Artikel, den wir dann prüfen und veröffentlichen werden.
Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu verfassen.
Werbung