Ausgabe Nr. 09/2023 vom 28.02.2023, Fotos: Patrick Semansky / AP / picturedesk.com, Quelle: Sipri Jahrbuch 2022
Zeit zum Abrüsten
Die Menschheit warnen will ein Team amerikanischer Wissenschaftler. Die Zeiger ihrer Weltuntergangsuhr stehen kurz vor Mitternacht.
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Im Grunde bin ich immer noch Optimist. Sonst würde ich ja nicht so einen Wirbel machen, sondern einfach aufgeben“, sagt Daniel Holz. Der amerikanische Physiker mit der Zottelfrisur, sonst eifrig mit Gravitationswellen und Schwarzen Löchern beschäftigt, hat eine Mission. Er will mit der „Weltuntergangsuhr“ aufrütteln. Sie zeigt 90 Sekunden vor Mitternacht.
Freilich ist es nicht das erste Mal, dass die Uhr bedrohlich tickt. Die „Doomsday Clock“, wie sie im Englischen heißt, gibt es seit dem Jahr 1947, dem Beginn des Kalten Krieges. Damals stand sie sieben Minuten vor Mitternacht, 1953, als die Sowjetunion ihre erste Wasserstoffbombe testete, nur noch zwei Minuten davor.
Ausstieg aus Abrüstungsverträgen
Dieser Tage bereitet der Ukrainekrieg Sorge. Ein Jahr nach dem Einmarsch russischer Truppen warnt auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), António Guterres, 73, vor einer Ausweitung des Konfliktes und dem Einsatz von Atomwaffen.
Wladimir Putin, 70, setzte indessen seine Beteiligung am Atomwaffen-Kontrollvertrag „New Start“ („Neustart“) aus, einem Abrüstungsvertrag zwischen dem Kreml und den USA aus dem Jahr 2010. Russland will die Entwicklung seiner Nuklearstreitkräfte weiter vorantreiben.
Auch Amerika erneuert seine Atomwaffenarsenale. Ex-Präsident Donald Trump, 76, trat 2019 ebenfalls aus einem Abrüstungsvertrag aus. Deutschland, das wie die USA zum Nordatlantikpakt (NATO) gehört und rund 20 amerikanische Atombomben lagert, schafft zusätzliche Kampfjets an, die im Ernstfall Nuklearwaffen abwerfen könnten.
„Die Angst vor der Bombe ist eigentlich ein Artefakt des Kalten Krieges, wir hatten gedacht, das liegt hinter uns“, schüttelt Daniel Holz den Kopf. Früher forschte er betreffend Kosmologie in Los Alamos (New Mexico, USA). Das ist jene Ortschaft, in der J. Robert Oppenheimer († 1967) die Atombombe entwickelte.
Auch der erste Abwurf fand in der Wüste von Los Alamos statt, wo Daniel Holz ein prägendes Erlebnis hatte. Er kam mit „Trinitit“ in Kontakt. Die olivgrüne, glasartige Substanz entstand aus geschmolzenem Sand beim ersten Test einer Kernwaffe. „Damals ist diese Bedrohung Wirklichkeit geworden.“
Doch nicht nur die atomare Gefahr lässt die Weltuntergangsuhr ticken. Auch der Klimawandel, Krankheitsausbrüche wie Ebola in Uganda im vergangenen Jahr und Fluchtbewegungen bereiten Sorge. Dieser Tage liegt das Augenmerk aber vor allem auf der Ukraine.
Taktische Nuklearwaffen
Die Obfrau des Vereines ICAN Austria (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen Österreich), Nadja Schmidt, ist überzeugt: „Wir dürfen aber nicht nur auf diesen Konflikt sehen. Auch Nordkorea bereitet gerade weitere Atomwaffentests vor, die Verhandlungen mit dem Iran wegen dessen Atomprogramms stagnieren gerade, und alle neun Atomwaffenstaaten investieren derzeit in umfangreiche Modernisierungsprogramme ihrer Atomwaffenarsenale“, sagt Nadja Schmidt. Sie ist überzeugt, dass nun der perfekte Zeitpunkt für Abrüstung sei. „Das zeigt auch die Geschichte. Die größten Fortschritte der nuklearen Abrüstung wurden gerade in Krisenzeiten erreicht.“
Dieser Tage ist allerdings immer wieder die Rede von einem möglichen Einsatz „taktischer Nuklearwaffen“. Sie haben einen geringeren Wirkungskreis und weniger Sprengkraft als strategische Atomwaffen.
Nadja Schmidt erklärt: „Taktische Atomwaffen erlauben eine präzisere Ausrichtung, setzen aber noch immer extreme Mengen an Energie frei. Im Vergleich mit der Atombombe von Hiroshima (Japan, 1945) sind sie in ihrer Sprengkraft teilweise immer noch stärker. Die Konsequenzen eines Einsatzes sind katastrophal. Auch bei einem Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe ist es Rettungskräften nicht mehr möglich zu helfen.“
Ob taktische Nuklearwaffen eingesetzt werden, ist freilich ungewiss. „Bei einem nuklearen Konflikt würden jedoch mehrere dieser Waffen eingesetzt, und ein Einsatz führt zu katastrophalen Konsequenzen, auch für Russland.“
Ein Umdenken findet aber nicht statt. „Die neun Atomwaffenstaaten und deren Verbündete haben über Jahrzehnte nukleare Abrüstung ignoriert. Das UN-Verbot von Atomwaffen, dessen erste Staatenkonferenz im Juni 2022 in Wien stattgefunden hat, ist derzeit der einzige internationale Impuls, um die Bedrohung durch Atomwaffen zu beenden. Leider können sich die Atomwaffen-Staaten nicht zu konkreten Abrüstungsschritten durchringen.“
Hoffnung liegt im Treffen der G7-Staaten im Mai 2023 in Hiroshima. „Es bietet den nuklear bewaffneten Staaten die Gelegenheit, eine Strategie zur Abrüstung mit allen anderen Nuklearwaffenstaaten festzulegen.“
Der Wissenschaftler Daniel Holz konzentriert sich einstweilen auf seine Weltuntergangsuhr. „Sie ist der Versuch, mehr zu tun, als den nächsten wissenschaftlichen Aufsatz zu veröffentlichen. ‚90 Sekunden vor Mitternacht‘ ist eine Botschaft, die auch außerhalb von Universitätsfakultäten verstanden wird.“
180 Atomwaffen in Europa
Freilich ist es nicht das erste Mal, dass die Uhr bedrohlich tickt. Die „Doomsday Clock“, wie sie im Englischen heißt, gibt es seit dem Jahr 1947, dem Beginn des Kalten Krieges. Damals stand sie sieben Minuten vor Mitternacht, 1953, als die Sowjetunion ihre erste Wasserstoffbombe testete, nur noch zwei Minuten davor.
Ausstieg aus Abrüstungsverträgen
Dieser Tage bereitet der Ukrainekrieg Sorge. Ein Jahr nach dem Einmarsch russischer Truppen warnt auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), António Guterres, 73, vor einer Ausweitung des Konfliktes und dem Einsatz von Atomwaffen.
Wladimir Putin, 70, setzte indessen seine Beteiligung am Atomwaffen-Kontrollvertrag „New Start“ („Neustart“) aus, einem Abrüstungsvertrag zwischen dem Kreml und den USA aus dem Jahr 2010. Russland will die Entwicklung seiner Nuklearstreitkräfte weiter vorantreiben.
Auch Amerika erneuert seine Atomwaffenarsenale. Ex-Präsident Donald Trump, 76, trat 2019 ebenfalls aus einem Abrüstungsvertrag aus. Deutschland, das wie die USA zum Nordatlantikpakt (NATO) gehört und rund 20 amerikanische Atombomben lagert, schafft zusätzliche Kampfjets an, die im Ernstfall Nuklearwaffen abwerfen könnten.
„Die Angst vor der Bombe ist eigentlich ein Artefakt des Kalten Krieges, wir hatten gedacht, das liegt hinter uns“, schüttelt Daniel Holz den Kopf. Früher forschte er betreffend Kosmologie in Los Alamos (New Mexico, USA). Das ist jene Ortschaft, in der J. Robert Oppenheimer († 1967) die Atombombe entwickelte.
Auch der erste Abwurf fand in der Wüste von Los Alamos statt, wo Daniel Holz ein prägendes Erlebnis hatte. Er kam mit „Trinitit“ in Kontakt. Die olivgrüne, glasartige Substanz entstand aus geschmolzenem Sand beim ersten Test einer Kernwaffe. „Damals ist diese Bedrohung Wirklichkeit geworden.“
Doch nicht nur die atomare Gefahr lässt die Weltuntergangsuhr ticken. Auch der Klimawandel, Krankheitsausbrüche wie Ebola in Uganda im vergangenen Jahr und Fluchtbewegungen bereiten Sorge. Dieser Tage liegt das Augenmerk aber vor allem auf der Ukraine.
Taktische Nuklearwaffen
Die Obfrau des Vereines ICAN Austria (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen Österreich), Nadja Schmidt, ist überzeugt: „Wir dürfen aber nicht nur auf diesen Konflikt sehen. Auch Nordkorea bereitet gerade weitere Atomwaffentests vor, die Verhandlungen mit dem Iran wegen dessen Atomprogramms stagnieren gerade, und alle neun Atomwaffenstaaten investieren derzeit in umfangreiche Modernisierungsprogramme ihrer Atomwaffenarsenale“, sagt Nadja Schmidt. Sie ist überzeugt, dass nun der perfekte Zeitpunkt für Abrüstung sei. „Das zeigt auch die Geschichte. Die größten Fortschritte der nuklearen Abrüstung wurden gerade in Krisenzeiten erreicht.“
Dieser Tage ist allerdings immer wieder die Rede von einem möglichen Einsatz „taktischer Nuklearwaffen“. Sie haben einen geringeren Wirkungskreis und weniger Sprengkraft als strategische Atomwaffen.
Nadja Schmidt erklärt: „Taktische Atomwaffen erlauben eine präzisere Ausrichtung, setzen aber noch immer extreme Mengen an Energie frei. Im Vergleich mit der Atombombe von Hiroshima (Japan, 1945) sind sie in ihrer Sprengkraft teilweise immer noch stärker. Die Konsequenzen eines Einsatzes sind katastrophal. Auch bei einem Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe ist es Rettungskräften nicht mehr möglich zu helfen.“
Ob taktische Nuklearwaffen eingesetzt werden, ist freilich ungewiss. „Bei einem nuklearen Konflikt würden jedoch mehrere dieser Waffen eingesetzt, und ein Einsatz führt zu katastrophalen Konsequenzen, auch für Russland.“
Ein Umdenken findet aber nicht statt. „Die neun Atomwaffenstaaten und deren Verbündete haben über Jahrzehnte nukleare Abrüstung ignoriert. Das UN-Verbot von Atomwaffen, dessen erste Staatenkonferenz im Juni 2022 in Wien stattgefunden hat, ist derzeit der einzige internationale Impuls, um die Bedrohung durch Atomwaffen zu beenden. Leider können sich die Atomwaffen-Staaten nicht zu konkreten Abrüstungsschritten durchringen.“
Hoffnung liegt im Treffen der G7-Staaten im Mai 2023 in Hiroshima. „Es bietet den nuklear bewaffneten Staaten die Gelegenheit, eine Strategie zur Abrüstung mit allen anderen Nuklearwaffenstaaten festzulegen.“
Der Wissenschaftler Daniel Holz konzentriert sich einstweilen auf seine Weltuntergangsuhr. „Sie ist der Versuch, mehr zu tun, als den nächsten wissenschaftlichen Aufsatz zu veröffentlichen. ‚90 Sekunden vor Mitternacht‘ ist eine Botschaft, die auch außerhalb von Universitätsfakultäten verstanden wird.“
180 Atomwaffen in Europa
- Am Fliegerhorst Büchel, eine Stunde von Bonn (D) entfernt, lagern rund 20 amerikanische B61-Kernwaffen. Jede von ihnen hat eine Sprengkraft von 50 Kilotonnen, mehr als drei Mal so viel wie die Bombe von Hiroshima (Japan).
- Deutsche Piloten wären im Ernstfall zum Abwurf über Feindgebiet verpflichtet. Die deutsche Regierung kauft zu diesem Zweck rund 35 neue US F-35-Kampfjets um fast zehn Milliarden Euro. Ab 2028 sollen sie teils einsatzbereit sein.
- Insgesamt lagern etwa 180 Atomwaffen der USA in Europa. Neben Deutschland sind sie in Belgien, den Niederlanden, in Italien und der Türkei stationiert.
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